Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 9.) 37
land ausspricht, macht erst jetzt in Deutschland gewaltiges Aufsehen
und beleuchtet wie durch einen Blitzstrahl das wahre Verhältnis
zwischen der überwiegenden und augenblicklich unter dem Regime
Ignatieff tonangebenden öffentlichen Meinung Rußland und Deutsch-
land.
Die Rede fand statt bei einem Gastmahle, das dem berühmten Te-
kinzen-Besieger gelegentlich des Jahrestags der Erstürmung von Gök-Tepe
gegeben wurde. Zunächst brachten die Petersburger Blätter nur den Teil
derselben, der sich auf die Maßregeln Österreich-Ungarns gegen den bosnisch-
herzegowinischen Aufstand bezogen, der in tiefgefühlten Ausdrücken auf diese
Völkerschaft hinwies, welche eben um Glauben und Unabhängigkeit kämpfe,
und dahin schloß: „Ich spreche nicht zu Ende meine Herrn...Mein Herz
zuckt krankhaft und schmerzhaft zusammen. Ein großer Trost ist und bleibt
aber der Gedanke an die Macht des historischen Berufs Rußlands.“ Erst
der Moskauer „Ruß“, das Organ Alsakoffs, brachte die vollständige Rede,
und da zeigte es sich denn sofort, daß der General weit mehr als Österreich-
Ungarn allein, daß er eigentlich ganz Europa, in erster Reihe aber und mit
dem größten Ingrimme Deutschland den Handschuh hingeworfen habe. Mit
unverhohlenem Grimme wendet er sich die ganze Rede hindurch immer und
immer wieder gegen Deutschland und die Deutschen, auch und ausdrücklich
gegen die deutsche Armee, indem er eine Verherrlichung des russischen Sieges
über die armen Achal-Tekinzen mit der Ironie schließt: „Ja, m. H, so lange
es in den Reihen der russischen Armee solche Offiziere geben wirb, können
wir jeder noch so hochwissenschaftlichen feindlichen Organisation kühn ins
Antlitz blicken"“ Die Rede verdient in der Tat eine nachhaltige Beachtung
in Deutschland. Nur zum Schluß und um aktuell zu sein, wurde Öster-
reich, gleichsam als Vorhut des Gesamtfeindes — auch England wird offen
als Feind behandelt und nur Frankreich mit süßen Worten geschmeichelt —
angegriffen. Die wahre Bedeutung der Rede kann aber nur dann erfaßt
werden, wenn man mit der Bedeutung des Mannes selbst, und mit der Be-
deutung, die er noch gewinnen kann, rechnet. Diese wird folgendermaßen
gezeichnet: „General Skobeleff, ein noch junger Mann von 38 Jahren, ist,
um es kurz zu sagen, einer der bedeutendsten Generale Rußlands. Eine
Soldatennatur durch und durch, von großer persönlicher Tapferkeit, betrachtet
er den Krieg als sein Element. Er hat seine unzweifelhaft vorhandene
kriegerische Begabung überdieß durch gründliches Lernen ausgebildet; heute
ist er General der Kavallerie, Kommandeur des Georgsordens mit dem Sterne
und — ein berühmter Mann. So groß aber seine militärischen Vorzüge
sind, so wenig werden in den Kreisen, die ihm am nächsten stehen, seine
Charaktereigenschaften geschätzt. Der überaus wohlwollende Großfürst Michael
Nikolajewitsch nahm ihn nach Absolvierung seiner Studien an der General-
stabsakademie als Ordonnanzoffizier zu sich, war aber genötigt, ihn alsbald
aus seiner Umgebung zu entfernen. So sehr er der nationale und populäre
Held des russischen Volkes ist, so wenig erfreut er sich der Sympathien der
guten Gesellschaft. Von der Natur in jeder Beziehung reich begabt, mit
einem bestechenden Äußeren, gewinnendem Benehmen und mit den besten
gesellschaftlichen Formen, gebildet und reich an positivem Wissen, macht der
glanzvolle junge General einen gewinnenden Eindruck. Und dennoch gibt es
kaum eine schlechte Eigenschaft, die man seinem Charakter in Petersburg nicht
nachsagt und zwar nicht bloß seitens seiner Feinde und Neider, deren er ja
natürlich viele hat, sondern von den besten Kreisen der russischen Welt. Er
gilt für intrigant, herzlos, brutal, cynisch und jedes edleren Gefühles bar,