Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

58 Das deutsche Reich und seine rinzelnen Gliedrr. (März 3—4.) 
Voraussetzung der Gewährung und Aufrechthaltung dieser Zustände betont 
der Minister in seinem Schlußworte das entsprechende Entgegenkommen, ver- 
langt dagegen energisch das Aufhören der verwerflichen Agitation gegen die 
Staatsgewalt. Nur unter dieser Bedingung lasse sich auf die Dauer Er- 
sprießliches erwarten, v. Schlör (lib.) faßt bezüglich der Rittler´schen Auf- 
stellungen sein Urteil dahin zusammen, daß dieselben das seit 60 Jahren in 
Bayern geltende Recht auf den Kopf stellen würden. Getraue man sich der- 
gleichen radikale Umgestaltungen vorzuschlagen, so sei der Weg dazu die Ein- 
bringung von Gesetzvorschlägen; innerhalb der Aufgaben des Finanzausschusses 
liege dergleichen nicht und deshalb verzichte er auch darauf, die Materie 
weiter zu diskutieren. Vaillant (lib.) erhebt Protest gegen die Stellung, 
welche in einem nach dem Rittler'schen Staats- und Kirchenrecht regierten 
Staate den Protestanten bereitet werden würde, im Unterschiede von dem im 
paritätischen Bayern vorhandenen Rechtszustande, und Frankenburger (lib.) 
erinnert daran, daß auch noch andere Religions- genossenschaften außer den 
Katholiken und Protestanten in Bayern vorhanden seien und in dem Re- 
ligionsedikte ihren Rechtsschutz fänden. Minister v. Lutz erklärt sein Be- 
dauern im sachlichen Interesse, daß die entgegenkommende Haltung der Re- 
gierung dem Referenten und seinen Freunden so ungenügend erscheine. Vom 
Standpunkte des Herrn Dr. Rittler aus, welcher in der Tat das bayerische 
Verfassungs- recht auf den Kopf stellen würde, sei allerdings ein Ausgleich 
nicht zu gewinnen, denn jeder bayerische Minister, er möge heißen wie er 
wolle, werde die Verfassung aufrecht zu erhalten haben. Die Aus- übung des 
Placetrechts sei eine so milde gewesen, daß man fast zweifelhaft sein könne, 
ob sie sich noch im Rahmen der Verfassung bewegte. Nur da, wo man ver- 
sucht habe, in Folge des Unfehlbarkeitsdogmas in die Rechte Dritter einzu- 
greifen und gegen sie den Zwang des Staates anzurufen, sei eingeschritten 
worden. Der Minister gibt schließlich den Rat, die Herren möchten ihrer- 
seits noch einmal in ernste Erwägung nehmen, ob sie das Entgegenkommen 
abweisen wolllen. 
3 — 4. März. (Preußen.) Volkswirtschaftsrat: berät im 
Plenum über das Tabakmonopol. Der Entwurf unterliegt einer 
weiteren Beratung im Ausschuß und geht dann an das Plenum 
zurück, das schließlich sein Gutachten für oder gegen abgeben wird. 
Ministerialrat v. Mayr verteidigt den Entwurf sehr lebhaft als 
Regierungskommissär. 
Die Ansichten scheinen sehr geteilt zu sein und die Stimmen für und 
gegen sich so ziemlich die Wage zu halten So viel steht übrigens bereits 
fest, daß der Volkswirtschaftsrat gerade auch in dieser Frage, an der dem 
Reichskanzler so viel gelegen ist, den Namen eines „technischen Beirats der 
Regierung in wirtschaftlichen Fragen“ durchaus nicht verdient. Derselbe 
zählt unter seinen Mitgliedern einen einzigen wirklichen Sachverständigen in 
dieser Frage, den Tabakfabrikanten Schöpplenberg und dieser spricht sich 
gegen das Monopol aus. Alle anderen verstehen von der Frage offenbar 
nicht mehr, als jeder beliebige Reichsbürger, welcher derselben einige Auf- 
merksamkeit zugewendet hat. Die Debatte beweist, wie leicht es vorkommen 
kann, daß eine ständige Sachverständigen-Körperschaft für spezielle Fragen, 
und darunter Fragen von der größten Tragweite, sich gar nicht als sach- 
verständig erweist. Im Reichstage z. B. hätte sich die Regierung zwanzig- 
mal mehr technische Information über den vorliegenden Gegenstand holen 
können. Im Volkswirtschaftsrat selbst erkennt auch einer der Redner die 
Unzulänglichkeit der Sachkunde dieser Körperschaft offen an.
	        
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