Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

96 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 21—23.) 
deren nach Maßgabe der Verhältnisse zu bestimmenden Fächern in fran- 
zösischer Sprache erteilt werde.“ Danach wird von jetzt ab in allen höheren 
Schulen in sämtlichen lassen der Unterricht in allen Fächern ausschließlich 
in deutscher Sprache erteilt. 
21. Juni. ( Preußen) Die römische Kurie richtet wieder 
eine Note an die preußische Regierung, in der sie sich durch die 
neueste kirchenpolitische Vorlage der Regierung an den Landtag 
durchaus noch nicht befriedigt erklärt. Der Wortlaut der Note 
wird wiederum nicht veröffentlicht. 
Die, „Nordd. Allg. Ztg.“ läßt sich inzwischen offiziös über die Note 
folgendermaßen aus: „Der Mangel an Entgegenkommen, welchen die Kurie 
gegenüber den achten Eröffnungen der Regierung zeigte, hat diese veranlaßt, 
die Abstellung der Schäden, von denen die katholische Bevölkerung auf kirch- 
lichem Gebiete betroffen war, in Gemeinschaft mit der Volksvertretung selbst 
in die Hand zu nehmen, soweit es ohne Gefahren für den Staat angängig 
war. Daß dieses Vorgehen der preußischen Regierung der Kurie erwünscht 
gewesen ist, darüber hat sich die Regierung keinen Illusionen hingegeben, und 
daß die Kurie nunmehr ihrer Mißbilligung dieses Verfahrens in einer Note 
Ausdruck gegeben hat, welche liberale Blätter als „eine Verhöhnung der preu- 
ßischen Regierung" bezeichnen, ist der letzteren nicht überraschend gewesen, 
um so weniger, als die Kurie in ihrer Diplomatie das taktische Bedürfnis 
empfindet, den jüngsten von der Regierung im Interesse der katholischen 
Unterthanen des Königs gemachten Schritt in dem Werte, den er für Rom 
hat, herabzudrücken und im voraus den Gedanken abzuschneiden, als wäre 
Rom nunmehr in die Lage gesetzt, weiter entgegenzukommen. Das taktische 
Manöver, welches in der geringschätzigen Kritik des neuen Gesetzes liegt, wird 
die prenßische Regierung nicht abhalten, die nächsten Schritte von könischer 
Seite abzuwarlen, und, wenn sie ausbleiben, den betretenen Weg selbstän- 
digen Vorgehens auf dem Felde ihrer Gesetzgebung weiter zu verfolgen, so- 
weit es ihr thunlich und erforderlich erscheint. Die veralteten diplomatischen 
Künste, wie sie in der aus dem kaufmännischen Verkehr entnommenen Be- 
mäkelung gegnerischer Angebote liegen, und welchen die römische Kurie in 
ihren antiken Traditionen anhängt, sind zu durchsichtig, um auf das weitere 
Verhalten Preußens Einfluß Zu üben. Es wäre nicht nur schicklicher, son- 
dern auch geschickter gewesen, wenn die jüngste römische Note ungeschrieben 
geblieben wäre, zumal eine formelle Nötigung, im jehigen Augenblick eine 
solche zu erlassen, in keiner Weise vorlag. Die anspruchsvolle und nörgelnde 
Kritik, welcher sie Ausdruck gibt, kann keine andere Wirkung haben als die, 
Preußen von weiterem Entgegenkommen abzuschrecken, weil ein neuer Beweis 
für die Unmöglichkeit, den anderen Teil zu befriedigen, damit geliefert wird.“ 
22.—23. Juni. (Preußen.) Abg.-Haus: 2. Lesung der kirchen- 
politischen Vorlage. Die konserv.-ultram. Koalition dringt wie in 
der Kommission so auch im Plenum durch: das Gesetz wird nach 
dem Antrage der Kommission vom 16. d. unverändert angenommen. 
Nur über die Art. 1 und 4 (resp. 3) entspinnt sich eine lebhafte 
Debatte; der entscheidende Art. 1 wird jedoch in der Fassung der 
Kommission mit 245 gegen bloß 87 Stimmen angenommen. Die 
Regierung verkeidigt zwar ihre Borlage, spricht sich aber in keiner 
Weise entschieden gegen die Anträge der Kommission aus:
	        
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