Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

158 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 26—27.) 
dazu können nur durch die weitere Ausbildung der indirekten Reichssteuern 
beschafft werden. An eine Erhöhung der Branntweinsteuer könne nur in- 
soweit gedacht werden, als nicht eine Gefahr der Ruinierung dieser Industrie 
herbeigeführt werde. Der Branntwein müsse gleichzeitig mit dem Tabak und 
dem Bier stärker herangezogen werden. Büchtemann (Fortschr.) erwiedert, 
die behauptete Loherhöhung sei durch anderweitige Beschränkungen wieder 
Zunichte gemacht worden. Er verlangt alsbaldige Erhöhung der Gehalte der 
Eisenbahnbeamten aus den Betriebsüberschüssen. Die Zusammensetzung der 
Eisenbahnräte widerspreche den Interessen des Landes, weil darin den Agrariern 
ein zu großes Übergewicht gegeben worden sei, welches dieselben auch einseitig 
ausnutzen. Nach den neuerlich eingegangenen Statistiken über die ländlichen 
Subhastationen sei die Lage der Landwirtschaft in keiner Hinsicht so traurig, 
wie sie von den Agrariern geschildert werde. Er spricht sich gegen die Be- 
vorzugung des Immobilienbesitzes im Kapitalrentensteuerprojekt und gegen 
die vollige Aufhebung der dritten und der vierten Steuerstufe aus. Finanz= 
minister: die Politik der Regierung rühre nicht vom gestrigen Tage her, 
sondern aus der vorjährigen Thronrede. Die ganze Entstehung des Verwen- 
dungsgesetzes beweise, daß es sich dabei nicht um Ziehung eines Wechsels auf 
das Reich handle, sondern lediglich um eine Bedürfnisliquidation. Die Klagen, 
daß die vom Reich eingegangenen Summen nicht ausschließlich für Steuer- 
erlasse verwendet worden, seien deshalb hinfällig, weil die Verwendung doch 
erst eintreten konnte, wenn kein Defizit mehr zu decken war, andernfalls 
hätten die direkten Steuern erheblich erhöht werden müssen. Den Holzzoll 
anbelangend, habe er nur gesagt, daß für die künstige Reichs- tagssession nicht 
die Widereinbringung der Vorlage in Anssicht stehe; für eine fernere Zu- 
kunft könne er eine bindende Äußerung nicht machen. Persönlich hoffe er, 
daß der wohlbegründete Antrag baldigst wieder eingebracht werden könne. 
Die guten Ergebnisse der Eisenbahnverwaltung seien der beste Beweis für die 
Güte der geübten Politik. Die Verstaatlichung sei nicht vorgeschlagen, um 
dem Staate eine gute Einahmeqnelle zu schaffen, sondern aus viel weiter- 
gehenden volkswirtschaftlichen Rücksichten. Windthorst (ultram.): der Mi- 
nister könne sich nicht mit dem Satze der Thronrede decken, sondern sei für 
denselben verantwortlich. Anlangend die Verstaatlichungen, müsse er sich 
gegen die Ansicht erklären, daß es richtig sei, wenn der Staat die Bahnen 
an sich ziehe, weil sonst der überschuß der Eisenbahnverwaltung den Aktionären 
zufließe; denn dann könnte jede Gewerbsthätigkeit der Verstaatlichung ver- 
fallen, wenn der Staat einmal kein Geld habe. Eine derartige Politik könne 
er nicht gutheißen; damit steuere man auf den sozialkommunistischen Staat los. 
Das Resultat   der Debatte ist für die Regierung kein sehr befrie- 
digendes. Ihre Aussichten für den Plan, zu Gunsten der preußischen Staats- 
und Gemeindefinanzen das Reich von neuem in Konkribution zu setzen, sind 
keine besseren geworden, als sie waren. Die Regierung will eine Reihe neuer 
Gesetze (über Dotation der Schulen, Erleichterung der Gemeindelasten, Er- 
höhung der Beamtengehalte) vorlegen, welche an die Voraussetzung erheb- 
licher finanzieller Mehrleistungen geknüpft sind. Da aber für die letzteren 
innerhalb des preußischen Staates keine Quellen ausfindig gemacht werden 
können, so soll die Zustimmung des Landtages zu den betreffenden Gesetzen 
als Anlaß dienen, um beim Reichstage neue indirekte Steuern in Vorschlag 
zu bringen. Nach den Erklärungen der Parteien in der Budgetdebatte wird 
jedoch diese Politik, wie schon früher, so auch gebt keine Mehrheit im Land- 
tage finden. Außer den beiden konfervativen Fraktionen scheint keine Partei 
dieselbe unterstützen zu wollen. Die Fortschrittspartei und die Sezessionisten 
sind prinzipielle Gegner der indirekten Steuern. Die Nationalliberalen haben 
durch den Mund v. Benda's die bindende Erklärung abgegeben, daß, so sehr
	        
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