Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

Tebersicht der polilischen Eulwichtlung des Jahres 1883. 450 
Bismarck, aber zur Zeit immerhin der bedeutendste Staatsmann 
Italiens, ist dadurch genötigt, stetsfort um seine Eristenz als Chef 
der Regierung zu kämpfen, und man muß daher billig mit dem 
zufrieden sein, was er trotzdem zu erreichen vermag. Und im Jahre 
1883 hat er sogar Großes erreicht, die Wiederaufnahme der Baar- 
zahlungen und die vollständige Beseitigung der verhaßten Mahl- 
steuer. In der letzten Zeit haben sich allerdings seine hervor- 
ragendsten Gegner im Parlament zusammen gethan, und als 
Pentarchen eine neue Partei gegründet, die hauptsächlich aus nea- 
politanischen und sizilischen Abgeordneten besleht, und fast ein Drittel 
der II. Kammer ausmacht, also zunächst wenigstens Depretis nicht 
zu stürfen, wohl aber ihm das Leben recht sauer zu machen vermag. 
Inzwischen ist Italien auch wirtschaftlich in entschiedenem Auf- 
schwunge begrissen und fängt überhaupt an, sich in jeder Beziehung 
zu fühlen. 
Von Rußlands inneren Zuständen ist nicht viel zu sagen, Ru#land 
weil man wenig davon weiß und das, was man erfährt, selten " 
ganz zuverlässig ist. Der Nihilismus ist nicht verschwunden und 
nicht unterdrückt, das ist sicher; aber es ist in der allgemeinen Be- 
wegung, die Rußland ergrissen hatte, sichtlich eine Art Stillstand 
und eine Art Gleichgewicht der Kräfte eingetreten, mit welchem 
der Kaiser zufrieden ist. Wirklich befriedigend ist dieser Zu- 
stand freilich nicht, und von Fortschritten in irgend welcher Be- 
giehung ist auch für das Jahr 1883 nichts zu verzeichnen. Der 
Kaiser will, zunächst vielleicht mit Recht, von einem Verzicht auf 
irgend einen Teil seiner Allgewalt nichts wissen, mit ihr bleibt 
aber auch die Bureaukratie, willkürlich und korrumpiert, wie sie ist, 
die Quelle stets neuer Unzufriedenheit. Darin hat auch die lange 
verschobene feierliche Krönung des Kaisers in Moskau, wo sie mit 
wahrhaft asiatischer Pracht in Szene gesetzt wurde, nichts geändert. 
Der Kaiser hält sich den größten Teil des Jahres ziemlich einsam 
in Gaischina und Petershof auf und bringt nur einige Monate 
des Winters in Petersburg zu, anscheinend ohne Furcht vor 
Attentaten. Es scheint ihm an Initiative in den Regierungs- 
geschäften zu gebrechen, außer vielleicht in den auswärtigen Ange- 
legenheiten, wo übrigens seine Regierung jetzt wieder wenigstens in den 
Hauptrichtungen traditionellen festen Geleisen folgt. Im Jahre 1883 
ohne hervorragenden Einfluß auf die europäischen Dinge, hat es 
dagegen in Asien gegenüber England, das anderweitig und nur zu
	        
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