Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 18.) 71 
lassen. In diesem Sinne sprachen sich in der Kommission die Redner der 
Nationalliberalen, der deutschen Reichspartei und der Deutschkonservativen 
aus. Von deutsch -freisinniger Seite wurde die Frage entschieden verneint, 
während Frhr. v. Huene (Zentrum), obgleich er nicht in Abrede stellte, daß 
die Finanzlage von großer Bedeutung sei, nur den Beweis der Nützlichkeit 
der in Rede stehenden Ausgabe vermißte. Daß dieser Beweis strikte nicht 
geführt werden kann, liegt auf der Hand. Im Laufe der  Erörterung tauchte 
eine zweite Frage auf, die voraussichtlich zu weiteren Diskussionen Veran- 
lassung geben wird. Frege stellte die Vermutung auf, daß hinter der Post- 
dampfervorlage weitgehende Kolonisalionspläne ständen. Hammacher wollte 
sich mit einer vagen Vermutung nicht begnügen; er kündigte für die nächste 
Sitzung die Frage an die Regierung an, ob die Vorlage im Zusammenhang 
stehe mit einer etwaigen Kolonialpolitik der Reichsregierung. 
18. Juni. (Deutsches Reich.) Abschluß eines Vertrags be- 
hufs einer umfassenden japanesischen Ausstellung im Hygieinepalast 
in Berlin. Dieselbe wird unter dem Protektorat der japanischen 
Regierung stehen und soll am 1. Mai nächsten Jahres eröffnet 
werden. 
18.—25. Juni. (Deutsches Reich.) Reichstag: Budgetkom- 
mission: Beratung über die Dampfersubventionsvorlage und die 
Kolonialpolitik des Reichskanzlers. Dieser erscheint zur Verteidigung 
am 23. persönlich in der Kommission, was er seit 1871 nicht mehr 
gethan hat. 
Die Verhandlungen gehören zu den wichtigsten Ereignissen der ganzen 
Session. Die Radikalen, Bamberger und Eng. Richter griffen die Politik 
des Reichskanzlers entschieden an: Richter bestritt die Zweckmäßigkeit einer 
generellen Stellungnahme in der Kolonialfrage und hielt die Entscheidung 
von Fall zu Fall für das allein richtige, Bamberger verurteilte jede deutsche 
Koloniastionsbestrebung zum voraus und sprach wiederholt von „Nasenstübern“, 
welche die deutschen Kolonisten von Engländern und Franzosen erhalten 
könnten und schien fast anzunehmen, daß Deutschland denselben gegenüber 
machtlos sein würde. Auch Windthorst sprach von  ,,Kolonialschwindel" 
und stellte sich thatsächlich an die Seite der Radikalen. Der Reichskanzler 
verteidigte dagegen wiederholt nicht nur seine Dampfersubventionsvorlage, 
sondern enthüllte auch einigermaßen seine in Angriff genommene Kolonial- 
politik. Er begann mit dem Ausdruck der Hoffuung, daß er Herrn Richter 
von dem Zusammenhang und der Zusammengehörigkeit der Dampsschiffahrtsvor- 
lage und der sog. Kolonialpolitik zur Begünstigung deutscher Unternehmungen 
in fremden, keinem Kulturstaat angehörigen Torritorien überzeugen werde. 
Der Zusammenhang zwischen dem Entstehen und der Entwickelung solcher 
Ansiedelungen und der Herstellung solcher direkten Verbindungen zwischen 
Deutschland und derselben liege auf der Hand und schon bei der Samoa- 
Vorlage sei der Grundgedanke derselbe gewesen. Damals sei es ihm nicht 
gelungen, die Mitwirkung des Reichstages für die angebahnte Verwirklichung 
seiner Anschauungen, die von ihm und seiner auswärtigen Politik unzer- 
trennlich sei und für die er einstehen werde, so lange er amtire, zu gewinnen; 
er versuche es jetzt zum zweitenmale und werde in der Entscheidung dieser 
Vorlage einen Beweis sehen, wie sich der Reichstag zu seiner ganzen Kolonial- 
politik stelle. Diese bestehe keineswegs darin, überall nach staatlichem Terri- 
torialerwerb herumzustöbern. Mit deutschen Geheimräten, preußischen Sub-
	        
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