Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Ende Juli.) 83 
werblichen Mittelstandes ergreife. Als solche Maßregeln erkenne der Hand- 
werkertag vor allem die Beschränkung der ungezügelten Gewerbefreiheit und 
die Einführung obligatorischer Innungen. Eine Anderung des Gesetzes von 
1881 sei wünschenswert wegen der Kosten, die den auf Grund desselben er- 
richteten Innungen auferlegt seien. In der Erwägung, daß der Antrag Acker- 
mann eine Abschlagszahlung für die berechtigten Forderungen der Handwerker 
sei, sprechen die Delegierten die Hoffnung aus, daß der Bundesrat diesem 
Antrage vor den nächsten Reichstagswahlen seine Genehmigung erteile. In 
einer weiteren Resolution wird die Einstellung entsprechender Summen in die 
staatlichen Etats zur Unterstützung und Entwicklung des Fachschulwesens der 
Innungen empfohlen. Sodann bezeichnet der Handwerkertag zur Beschränkung 
des Vagabundenunwesens die Beschränkung der Gewerbefreiheit, der Paßfrei- 
heit und der Freizügigkeit als notwendig. In einer ferneren Resolution 
wird die Beschränkung einer weiteren Ausdehnung der Konsumvereine für 
wünschenswert erklärt. 
In größeren Kreisen findet der Handwerkertag mit seinen Resolutionen 
nur wenig Beachtung und noch weniger Zustimmung. Hofrat Ackermann, 
der Hauptkämpe für zünftlerische Bestrebungen im Reichstage, mußte am 
25. Jannar d. J. selbst zugeben, daß zwei Drittel von den 6018 Innungen 
in Preußen nach amtlichen Mitteilungen bis zum 1. Jannar 1884 die vor- 
geschriebene Statutenrevision noch gar nicht eingeleitet hatten. Nach Maß- 
gabe des neuen Innungsgesetzes müssen alle Innungen bis Ende 1885 ihre 
Statuten umgestalten. Troßdem hatten also etwa 4000 Innungen 2½ Jahre 
nach Erlaß des neuen Innungsgesetzes von demselben absolut keine Notiz 
genommen. In dem übrigen Deutschland dürfte die Sache ähnlich stehen. 
Taussende von Innungen haben nicht mehr so viel Leben, um sich zu der 
geringen Anstrengung der Statutenrevision aufzuraffen. Bei so wenig eigener 
Initiative werden der ganzen Bewegung keine großen Aussichten zugestanden. 
Was diese Handwerker anstreben, ist augenscheinlich nicht Hebung des Hand- 
werks als solchen, sondern vielmehr eine Verbesserung  der Stellung der Hand- 
werksmeister durch Beschränkung der Konkurrenz. Die aber wäre nur zu 
erzielen durch Beschränkung des Großbetriebes und diese ist ganz und gar 
unmöglich; derselbe dehnt sich im Gegenteil immer mehr aus, auf immer 
neue und neue Artikel, wodurch das Handwerk allerdings immer mehr Boden 
verliert, so daß der Handwerker gezwungen wird, entweder zum Kunsthand- 
werk emporzusteigen, oder sich mit dem Detailhandel zu begnügen oder aber 
zur Aushilfs- und Flickarbeit herabzusinken. Viele Minderbegabte werden 
sich entschließen müssen, statt als selbständige Meister ihr Auskommen als 
Arbeiter in irgend einem Großbetriebe zu suchen. 
Ende Juli. (Deutsches Reich.) Ein Geschwader von 10 
deutschen Kriegsschiffen erscheint auf der Fahrt von der Ost- in die 
Nordsee auf der Außenrhede von Kopenhagen. 
In der dänischen Tagespresse herrscht darüber eine lebhafte Aufregung, 
die indes völlig unbegründet ist, da von deutscher Seite mit diesem Erscheinen 
eines Teiles der deutschen Panzerschiffe bei Kopenhagen keine politische De- 
monstration beabsichtigt wurde. Es herrschte bisher die Sitte, daß alle unsere 
deutschen schweren Panzerschiffe und größeren Kriegsschisse mit Ausnahme 
der Schulschiffe. auf ihren Fahrten von Kiel nach der Nordsee den Weg 
durch den Großen Belt und nicht durch den Sund nahmen. Es geschah dies 
teils deswegen, weil ersterer Weg etwas näher, dann aber auch weil das 
Fahrwasser im Belt für sehr tief gehende Schiffe breiter und daher minder 
gefährlich ist, als die schmale Passage durch den Sund. Als aber jetzt das 
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