4 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 4 —5.)
amt die Aussicht über die Ausführung des Gesetzes, allerdings auf seine
eigenen Kosten, führen; nur in dem Falle, daß eine Berufsgenossenschaft
zahlungsunfähig werden sollte, hat das Reich für die Erfüllung der Ver-
pflichtungen einzutreten. Das Schwergewicht des ganzen Entwurfs als eines
neuen beruht wesentlich auf diesem Reichsversicherungsamt und auf neu zu
bildenden Arbeiterausschüssen, denen eine wesentliche Einwirkung auf
die Ausführung des Gesetzes zugestanden werden soll. Den Ausgangspunkt
hiefür bildet der völlige Wegfall der künstlichen Konstruktion der Versiche-
rungsverbände. welche in dem weiten Entwurf so viel Anstoß erregt hatten.
Der jetzige Entwurf geht, wie es in der Begründung heißt, davon aus, daß
in der Gemeinsamkeit des Berufs die Gemeinschaft der sozialen Interessen
und Pflichten wurzelt und daß demnach die Gesamtheit der Berufsgenossen
ohne territoriale Abgrenzung derselben nach Verwaltungsbezirken und Staats-
gebieten die Grundlage der Unfallversicherung zu bilden habe, wobei selbst-
verständlich nicht ausgeschlossen ist, daß gleiche oder verwandte Betriebe sich
zu einer Genossenschaft vereinigen. Die Bedingungen, unter denen solche ge-
nossenschaftliche Bildungen stattfinden sollen gesetzgeberisch zu formulieren,
ist den Urhebern des Entwurfs nicht gelungen — was übrigens wenig über-
raschen kann; an die Stelle gesetzlicher Vorschriften tritt die Entscheidung
einer aus vier von dem Kaiser, vier von dem Bundesrat und zwei von den
Arbeiterausschüssen bestellten Mitgliedern bestehenden Behörde, welcher der
Name ,,Reichsersicherungsamt“ beigelegt ist. Die Kompetenz dieses Amtes
nach dem Inhalte des Entwuris im einzelnen klarzulegen, wäre ziemlich
schwierig. Der Vorsitzende und vier Mitglieder dieser Behörde entscheiden
nach völlig freiem Ermessen über die Bildung, Auflösung und Vereinigung
der Berufsgenossenschaften, ja sie können sogar gestatten, daß die wenigen im
Gesetz enthaltenen Vorschriften über die Organisation u. s. w. der Genossen-
schaften durch genossenschaftliches Statut abgeändert werden. Diese Schöpfung
des „Reichsversicherungsamtes“ mag im einzelnen mit mehr oder weniger Er-
folg kritisiert werden; aber das wird jeder unbefangen Urteilende einräumen
müssen., daß eine solche kontrollierende und leitende Instanz unentbehrlich ist,
wenn man nicht noch einen Schritt weiter gehen und auch auf die zwangs-
weise Bildung von Genossenschaften verzichten, d. h. den Betriebsunternehmern
überlassen will, wie und in welchen Formen sie der Verpflichtung, ihre
Arbeiter gegen ünfälle zu versichern, nachkommen wollen. Man ist gespannt,
wie die Industriellen sich zu dem Vorschlage der Einsetzung dieses „Reichs-
versicherungsamtes“ stellen werden, welches in einem gewissen Gegensatz zu dem
Gedanken selbständiger berufsgenossenschaftlicher Korporationen zu stehen scheint.
Jedenfalls liegt in diesem Vorschlage der Schwerpunkt des ganzen Entwurfs;
derselbe steht oder fällt mit der Annahme oder Ablehnung des Reichsversiche-
rungsamtes.
4 Jannar. (Deutsches Reich.) Das Reichsgericht hebt das
Urteil des Schwurgerichts in Köslin gegen die des Synagogenbrandes
in Neustettin angeklagten Juden auf und überweist den Prozeß an
das Landgericht in Konitz (s. 1883: 19. Oktober).
5. Januar. (Deutsches Reich.) Erste Generalversammlung
des deutschen Kolonialvereins in Frankfurt a. M. unter dem Vor-
sitze des Fürsten zu Hohenlohe-Langenburg.
Der Verein zählt jetzt 3260 Mitglieder, darunter zahlreiche Korpo-
rationen, wie Stadtgemeinden, Handelskammern, Handels- und kaufmännische
Vereine. Derselbe faßte bisher in 492 Orten Deutschlands und 43 außer-