Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

40 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 27.) 
Form seinerseits als durchaus inkorrekt abzulehnen und die staats- 
rechtliche Stellung des Reichskanzlers zum Kaiser, zum Bundesrat 
und zum Reichstag wieder klarzulegen. 
Der Reichskanzler erklärt: „Es könnte — nur um unsere staatsrecht- 
lichen Beziehungen klarzulegen, ergreife ich das Wort — es könnte in dem 
Antrage Barth ebensogut statt des Reichskanzlers stehen, „den königlich würt- 
tembergischen Bevollmächtigten zum Bunderrat zu ersuchen“ oder irgend einen 
Anderen. Sie wünschen durch einen Reichstagsbeschluß einen im Bundesrat 
zu stellenden Antrag hervorzurufen. Meines Erachtens ist der Weg einfacher 
und kürzer, daß Sie in Form einer Resolution oder eines Antrages auf ge- 
setzliche Bestimmung Beschluß fassen. Dieser Beschluß wird unweigerlich dem 
Bundesrat behändigt und von seiner Seite durch einen Beschluß, der Ihnen 
späterhin mitgeteilt werden wird, erledigt werden. Ich möchte nur den Reichs- 
kanzler hier aus dem Gefecht ziehen und verhindern, daß die Figur desselben 
für solche Augen, welche die Verfassung nicht genau lesen, größer erscheint, 
als sie in der That ist, und ihren Schatten auf die Autorität des Bundes- 
rats wirft. " Der Reichstag ist zu dieser Remedur auch ganz bereit. Durch 
gewisse erklärliche, oft nur mechanische, Erscheinungen waren die Kennzeichen 
der einzelnen im Reiche maßgebenden Faktoren zum Teil verwischt. Abge- 
sehen von der Person des Reichskanzlers, die über die Maßen zum Motor 
für alles Mögliche gemacht wurde, war der Begriff der Reichsregierung z. B. 
zu einem stehenden geworden. Der Sprachgebrauch war darin von solchem 
Einflusse, daß selbst in amtlichen Kundgebungen derartige Ausdrücke vor- 
kamen. Genau genommen, gibt es keine Reichs-, sondern nur eine kaiserliche 
Regierung. Dem Kaiser sind im Reiche gewisse Machtbefugnisse und Ver- 
waltungssphären zugewiesen, z. B. die Regelung der internationalen Ver- 
hältnisse, das Militär- und Marinewesen, die Post und Telegraphie etc. Mit 
Bezug auf diese kaiserlichen Befugnisse fungiert der Reichskanzler eigentlich 
als verantwortlicher Minister des Kaisers. Auf der anderen Seite sind die 
Befugnisse und Rechte des Bundesrats festgestellt, und in den ersten Jahren 
nach Errichtung des Reiches wurden auch in allen Kundgebungen, Be- 
schlüssen etc. diese Regierungefaktoren strikte auseinandergehalten; in letzter 
Zeit begann sich das aus formellen Gründen etwas zu ändern, wodurch die 
Stellung des Bundesrates zu leiden schien. Indessen wird die veränderte 
Fassung der Anträge des Reichstags, einzelne Sachen zur Ausführung an 
den Bundesrat zu verweisen, auch nicht für jederzeit korrekt angesehen. Genau 
genommen, müßte es heißen: an die verbündeten Regierungen, da ja der 
Bundesrat nicht nach eigener Ansicht beschließt, sondern nur nach den von 
den Reglerungen gegebenen Instruktionen. 
27. März. (Deutsches Reich.) Bundesrat: Die Zucker- 
Enquete-Kommission legt demselben ihren Bericht über „die Gründe 
des finanziellen Rückgangs der Rübenzuckersteuer und die zur Ab- 
hilfe geeigneten Mittel“ vor. Derselbe ist mit seinen Anlagen ein 
sehr umfangreiches Aktenstück, indem er außer dem eigentlichen, 103 
Foliodruckseiten langen Bericht nicht weniger als 5 Bände Anlagen 
umfaßt. Die Vorschläge der Kommission lauten in kurzer Fassung: 
1) Nach dem gegenwärtigen Stand der Leistungsfähigkeit der Rüben- 
und der Zuckerproduktion sind 10,75 Doppelzentner roher Rüben als durch- 
schnittlich erforderlich zur Herstellung eines Doppelzentners Rohzucker von
	        
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