56 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 9—12.)
taktischen Motive zu Grunde, sie solllen vielmehr den Übergang zum gemeinen
Recht erleichtern. Ein Teil derselben wird jedoch auch vom Plenum abge-
lehnt, der Rest von Windthorst selbst zurückgezogen. Reichensperger begründet
die Zustimmung der Minorität des Zentrums zu dem Gesetz und Zorn
v. Bulach erklärt, er werde mit der Minorität der Elsaß-Lothringer für die
Verlängerung stimmen. Bei der namentlichen Abstimmung stimmen die Na-
tionalliberalen, Konservativen und Freikonservativen geschlossen für das Gesetz,
von den Deutsch- Freisinnigen 25 für, die übrigen gegen, vom Zentrum 39
für, 53 gegen das Gesetz. Der Däne Lassen enthält sich der Abstimmung.
9. Mai. (Deutsches Reich.) Bundesrat: beschließt eine Do-
tation von 135.000 M. für die Cholerakommission, wovon 100,000 M.
dem Leiter derselben, Geh. Rat Koch, zufallen sollen. Der Reichs-
tag genehmigt den Beschluß ohne Debatte.
10. Mai. (Deutsches Reich.) Das Organ des Reichskanzlers,
die Nordd. Allg. Ztg., veröffentlicht eine ihr „von autorisierter bel-
gischer Seite“ zugekommene Beleuchtung der Kongofrage.
Dieselbe gibt zuerst näheren Aufschluß über das von der sog. afrika-
nischen Gesellschaft mit Frankreich getroffene Abkommen, durch welches Frank-
reich bei einer allfälligen Abtretung oder einem Verkauf der Besitzungen der
Gesellschaft ein gewisses Vorrecht zugestanden wird. Dann fährt sie fort:
„Dank dieser Übereinkunft ist der Friede zwischen Frankreich und der Ge-
sellschaft gesichert und hat die Republik zugesagt, das Gebiet und die Stationen
derselben zu respektieren: ebenso die von den Häuptlingen erworbenen Rechte.
Wenn die Gesellschaft in Zukunft die Wahrnehmung machen sollte, daß es
ihr nicht gelänge, ihre Schöpfung von den Mächten anerkannt zu sehen, dann
hat sie jederzeit das Recht, diese letzteren auf Frankreich zu übertragen. Die
Gesellschaft hat niemals danach gestrebt, den Besitz der gesamten Ufer des
Kongo zu erlangen; sie hat nur gestrebt, eine räumlich genügende Ausdeh-
nung sich zu sichern, damit ihr Besitz in wirksamer Weise die Freiheit des
Handels in dem großen Kongothal gewährleiste. Das Abkommen mit Frank-
reich verbürgt diese Freiheit, und es wird von den anderen europäischen
Mächten abhängen, sie ihrerseils ebenfalls dadurch anzuerkennen, daß sie mit
der Gesellschaft darüber in Unterhandlungen eintreten, oder, was noch besser
wäre, indem sie mit dem neuen Staatswesen, das von der Gesellschaft bei
Proklamation einer politischen Verfassung für dasselbe in das Leben gerufen
werden wird, sich in Einvernehmen setzen.“ Die Anregung dieser Fragen
fällt einigermaßen auf und wird zunächst nicht ganz verstanden und gewür-
digt. Sie hängt eben, wie sich später ergibt, mit den Plänen des Reichs-
kanzlers zusammen.
10. Mai. (Baden.) II. Kammer: nimmt das Gesetz betr.
Erweiterung der Verwaltungsrechtspflege einstimmig an.
12. Mai. (Deutsches Reich.) Der Reichskanzler erklärt die
Beschwerden mehrerer Handelskammern gegen den englisch-portugiesi-
schen Vertrag bez. des Kongo für begründet und teilt denselben mit:
„Ich habe dieser Auffassung den genannten beiden Regierungen gegen-
über Auedruck gegeben und dieselben in Kenntnis gesetzt, daß die Regierung
S. M. des Kaisers nicht in der Lage sein würde, die Anwendbarkeit jener
Bestimmungen auf die Angehörigen des Reichs zuzugeben. Mit den Regie-
rungen der an dem Handel mit Afrika zumeist beteiligten Länder sind wir