8 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 10.)
Die Kommunikationen sind auch nicht so rasch, daß die höheren Autoritäten
schnell genug informiert werden könnten. Kurz, ich bin überzeugt, daß die
englische Regierung diese Vorkommnisse, wenn sie richtig geschildert sind —
was ich ja einstweilen dahingestellt lassen muß, aber glaube —, ganz ebenso
mißbilligen und beurteilen wird, wie das von uns hier beurteilt wird.
Durch die Unabhängigkeit der englischen Kolonialverwaltung vom Mutter-
lande und wiederum der Oberaufsicht im Mutterlande von den auswärtigen
Geschäften Englands wird ja die Reaktion gegen dergleichen von England
ebenso wie von uns gemißbilligte Vorkommnisse verzögert und erschwert."
Zum Schluß verliest der Reichskanzler einen in polnischen Zeitungen
veröffentlichten Brief aus Fernando Po, in welchem beschrieben wird, wie
der polnische Afrikareisende Rogozinski, nachdem er den Zweck der Mission
Nachtigalls erfahren, den englischen Konsul Hewett veranlaßt habe, um
die deutschen Annexionen zu verhüten, die Gebiete zwischen Viktoria und
Kalabar durch Verträge mit den Eingeborenen unter englisches Protektorat
zu stellen.
In einer zweiten Rede bekämpft der Reichskanzler die Ausführungen
des Abg. Windthorst: „Der Herr Vorredner hat sie (die Konsequenzen der
Bewilligung) sehr viel weiter ausgesponnen, als sie in der natürlichen Ent-
wickelung der Dinge begründet sind. Er hat dazu eine Situation zu Grunde
gelegt, die gar nicht vorhanden ist, und hat sie mit den Worten geschildert:
wir sind von Feinden umgeben. Meine Herren, das waren wir vielleicht
im Anfang der 70er Jahre, von Feinden oder von unsicheren Freunden;
aber mit der jetzigen Situation ist diese Behauptung des Herrn Vorredners
doch kaum verträglich, und bei der politischen Intelligenz, die ihm beiwohnt,
kann ich mir wirklich kaum denken, daß das etwas anderes als eine rheto-
rische Figur von ihm gewesen ist, die ihm entschlüpft ist — so wie eine
andere Äußerung, bei der er auch nicht gleich wünschte, festgenagelt zu
sein — ich weiß nicht mehr, welche.
„Wo sind denn die Feinde, von denen wir umgeben sind? Ich sehe
rundum nur befreundete Regierungen, mit denen wir in den engsten ver-
trauensvollen Beziehungen stehen. (Bravo!) Vielleicht können Sie mir eine
nennen, die Sie besonders fürchten!? Ich würde für diese Belehrung in
meinem Fache und auf diesem Gebiet sehr dankbar sein; vielleicht ist mir
irgend eine Ecke der europäischen Politik, aus der ein Ungewitter über uns
losbrechen könnte, vollständig entgangen. (Heiterkeit.) Daß wir mit den
beiden östlichen Mächten, den beiden Kaiserreichen, in intimen und sicheren
Verhältnissen leben, dürfte auch von dem Herrn Vorredner nicht in Zweifel
gezogen werden, und diese Verbindung an sich bildet ein starkes Dach und
eine starke Wölbung, von der gestützt jedes von den drei Kaiserreichen schon
manches aushalten kann, was ihm von anderer Seite kommen könnte.
„Wir leben mit Italien in intimer und guter Freundschaft, in sicheren
Verhältnissen; das Gleiche ist mit Spanien der Fall. Wir haben mit
Frankreich seit vielen Jahren — ich kann wohl sagen, seit der Zeit vor
1866 — nicht in so guten Beziehungen gestanden wie heute. (Hört! hört!)
Es ist das das Ergebnis einer weisen und gemäßigten Regierung in Frank-
reich, die die Wohlthaten des Friedens ihrerseits ebenso hoch zu schätzen
weiß wie wir: beide Regierungen wissen, daß es auf dem Kontinent kaum
eine größere Kalamität gibt als einen deutsch-französischen Krieg. Wir
haben das einmal gegenseitig durchgemacht, und für den Sieger und Besiegten
ist es ein schweres Unglück, nach beiden Seiten hin; selbst ein siegreicher
Krieg von diesen Dimensionen ist ein Unglück für das Land, das genötigt
wird, ihn zu führen, und ich glaube, daß auf keiner von beiden Seiten eine