Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 24.) 21 
netenhaus: lehnt den Antrag Stern den Dispositionsfonds von 
93000 M für „allgemeine politische Zwecke“ (früher größtenteils 
für die „Provinzial-Korrespondenz“ verwendet) zu streichen mit 148 
gegen 102 Stimmen ab. Bei dem Etat des „Staats-Anzeigers“ 
beschwert sich der Abgeordnete Bachem (Zentrum) über die tendenziöse 
Zusammenstellung der „Zeitungsstimmen“ in dem offiziellen Organ. 
Dies führte zu einer Erneuerung der Reichstagsdebatte vom vorigen 
Tage über die Adressenbewegung gegen den Reichstagsbeschluß vom 
15. Dezember. 
24. Januar. (England.) Auseinandersetzung zwischen dem 
Reichskanzler und dem englischen Botschafter in Berlin über die 
Entfremdung zwischen Deutschland und England. 
Malet berichtet (nach dem Ende Februar veröffentlichten Blaubuch) 
über diese Unterredung folgendes: „Fürst Bismarck sagte, daß er mir eine 
von ihm an den Grafen Münster am 5. Mai v. J. gerichtete Depesche vor- 
lesen wolle, um zu zeigen, wie verschieden unsere Beziehungen vor einem 
Jahre waren, und wie sehr es sein Wunsch gewesen sei, daß diese guten Be- 
ziehungen fortdauern sollten. Die Depesche an Graf Münster ist eine äußerst 
merkwürdige. Sie konstatiert die große Wichtigkeit, die der Fürst sowohl 
der Kolonialfrage, als der Freundschaft zwischen Deutschland und England 
beimißt. Sie hebt hervor, daß England beim Beginn deutscher Kolonial- 
unternehmungen Deutschland große Dienste leisten könne, und sagt, daß für 
solche Dienste Deutschland seine besten Bemühungen zu Gunsten Englands 
in Fragen, welche dessen Interessen näher der Heimat berühren, aufbieten 
würde. Die Depesche belegt diese Erwägungen mit Beweisen über die aus 
solchem Einvernehmen entspringenden gegenseitigen Vorteile, und instruiert 
dann Graf Münster, zu erklären, daß, falls dieses Einvernehmen nicht zu 
Stande käme, das Resultat sein würde, daß Deutschland von Frankreich den 
Beistand, den von England zu erlangen ihm nicht gelungen sei, zu erlangen 
suchen und sich Frankreich in derselben Weise nähern werde, in der es sich 
jetzt bestrebe, England näher zu treten. Die Depesche war eine lange, aber 
das Obige ist die Quintessenz daraus. Fürst Bismarck sagte weiter zu mir, 
daß, da er mit dem Erfolge nicht zufrieden war, und diesen Umstand teil- 
weise dem Botschafter zuschrieb, der die Hauptpunkte nicht gehörig präzisiert 
haben dürfte, er seinen Sohn, den Grafen Herbert Bismarck, nach England 
sandte. Unglücklicherweise habe er aber auf diesem Wege auch nichts weiter 
erlangt, als jene allgemeinen freundlichen Versicherungen des Wohlwollens, 
die angesichts der späteren Ereignisse wenig Wert hatten. Alsdann las mir 
der Fürst den Entwurf einer Depesche vor, die er jetzt an den Grafen Münster 
sendet, und worin er auf eine Bemerkung anspielt, die Se. Excellenz Ewr. 
Lordschaft in einer Rede über die ägyptische Frage zuschreibt und die dahin 
lautet, daß die Haltung Deutschlands in der Kolonialfrage es für Ew. Lord- 
schaft schwierig mache, sich in anderen Punkten versöhnlich zu zeigen. Dann 
kam der Fürst auf unser „Einschließungssystem“ — wie er es nannte — zu 
sprechen, und erwähnte hiebei Zulu-Land, wobei er bemerkte, daß die Buren 
eine Landabtretung beanspruchen, die ihnen im Jahre 1840 von König Panda 
gewährt worden. Ich wandte ein, daß, da zu jener Zeit kein solcher Staat 
wie Transvaal existiert habe, eine Gebietsabtretung — wenn eine solche be- 
steht — nur von Buren erlangt sein konnte, die unsere eigenen Unterthanen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.