Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

Sturz 
422 Mebersicht der polilischen Entwickelunz des Jahres 1885. 
als so selbstverständlich, daß das Ministerium gar keinen Versuch 
machte, eine Willensäußerung der Kammer darüber herbeizuführen, 
sondern von vorn herein erklärte, daß es die Bewilligung des 
sofort eingebrachten Kredits von 200 Millionen nicht als Ver- 
trauensvotum betrachten werde. Daß es der reine Wahnfinn ist, 
ein Ministerium zu stürzen, weil ein General eine Schlappe er- 
Mirine leidet; daß man in einem so kritischen Momente vor allen Dingen 
riums 
erry. 
Friede 
mit 
China. 
eines Ministeriums bedürfe, daran dachte niemand. So entschied 
denn dieselbe Kammer, welche den Beschluß vom 28. März gefaßt 
hatte, nach einer über alle Begriffe aufgeregten und stürmischen 
Sitzung mit 308 gegen 161 Stimmen gegen das Ministerium, 
welches sofort seine Entlassung nahm. Doch der Tragödie der 
Kammersitzung vom 30. sollte alsbald das Satyrspiel folgen. Die 
Deputierten trauten ihren Augen nicht, als sie am 31. in den 
Morgenblättern lasen, daß der Friede mit China so gut wie ge- 
sichert sei und daß Ferry, als er der empörten Kammermehrheit 
erlag, den Frieden schon sozusagen in der Tasche hatte. So war 
die ganze Verhandlung vom 30. März nichts als ein großes 
Mißverständnis; doch hatte man nicht den Mut, dies einzugestehen 
und durch Rehabilitierung des Ministeriums Ferry das begangene 
Unrecht wieder gut zu machen. Anfänglich besorgte man, daß 
China den Frieden in Unkenntnis der Ereignisse von Langson 
angeboten habe und nunmehr sofort seine Propositionen zurückziehen 
werde. Doch der Friede wurde am 4. April unterzeichnet und 
die französische Kammer hatte der Welt einmal wieder den Be- 
weis geliefert, daß sie durch einen überraschenden militärischen 
Zwischenfall sofort in einen Zustand der Unzurechnungsfähigkeit 
gesetzt wird. 
Es ist oben bereits angedeutet, in welcher Beziehung der 
Abschluß dieses Friedens möglicher Weise mit dem englisch-russi- 
schen Konflikt stand. Die eigentümlichen Umstände, unter welchen 
die Verhandlungen angebahnt und zu Ende geführt wurden, sind 
nur geeignet, diese Vermutung zu bestätigen: Von chinefischer 
Seite wurden die Verhandlungen geführt durch den Engländer 
Robert Hart, welcher in China abwechselnd die Stelle eines eng- 
lischen Gesandten und eines chinesischen Hafenzolldirektors bekleidet
	        
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