Lie Gesterreigzis-Anzerische Monarcie. (Jannar 25.) 197
Ereignisse gewiß nicht verstärkt wurde, sondern an Stelle der als unhaltbar
erwiesenen Grundlage, an welche sich selbst die Türkei nicht klammert, eine
Lösung zu suchen, welche wenigstens mit einigen Garantien der Lebensfähig-
keit und Dauerhaftigkeit versehen sei.
Der Theorie der Kompensation bin ich wohl nicht geneigt, ein Recht
anzuerkennen, am allerwenigsten aber hinsichtlich solcher Staaten, deren Grenzen
einander nicht einmal berühren. Andererseits ist es für mich zweifellos, daß
eine solche Lösung, welche die Interessen bloß jener Staaten in Betracht zieht,
die es für gut befinden, die bestehenden Verträge zu ihren eigenen Gunsten
zu zerreißen, schon deshalb keine Dauerhaftigkeit besäße, weil in Hinkunft
andere zur Befolgung dieses Beispiels verleitet würden. Wenn wir nun in
Betracht ziehen, daß Europa im Orient über keine Exekutivgewalt verfügt,
daß wir diese Aufgabe nicht übernehmen und sie auch nicht „anderen über-
tragen können, so ist es für mich zweifellos, daß im Orient nur eine solche
Schöpfung Dauerhaftigkeit verspricht, welche auf Grund eines gewissen natür-
lichen Gleichgewichtes sich selbst zu erhalten vermag. Nicht weniger wichtig
ist es für uns, daß jene Lösung, welche wir im Verein mit Europa herbei-
zuführen vermögen, mit den Bedingungen der Selbsterhaltung ausgestattet
sei, damit wir nicht nachträglich genötigt seien, uns mit größeren Opfern
gegen die Verwicklungen zu schützen, deren Folgen wir als Nachbarstaat am
meisten zu fühlen hätten.
Wenn ich nun aus diesem Gesichtspunkte die in Rede stehende Lösung
betrachte, kann es wohl eine Divergenz der Meinungen darüber nicht geben,
daß die auf Grund der sogenannten Personal-Union geplante Lösung das
erade Gegenteil dessen ist, was wir oder irgend eine andere Macht, welche
halbwegs dauernde Zustände auf der Balkan-Halbinsel sehen will, wünschen
muß. Nach dieser Idee würde nämlich der unter türkischer Suzeränetät
stehende Fürst von Bulgarien zugleich Gouverneur von Rumelien sein, d. h.
derjenige Funktionär, von welchem es in erster Reihe abhängt, zu bestimmen,
wann es notwendig sein werde, für die Einberufung der türkischen Streit-
kräfte Sorge zu tragen. Eine seiner Aufgaben würde es sein, die türkischen
Streitkräfte in dem Falle rechtzeitig einzuberufen, wenn Rumelien sich wieder
mit Bulgarien vereinigen oder gar das bulgarische Königreich proklamieren
wollte. Doch das ist nicht die einzige schwache Seite der Lösung. Wenn
aus der vielbewegten Vergangenheit der Balkan-Halbinsel sich eine historische
Erfahrung ergibt, aus welcher man auch für die Zukunft einen sicheren Schluß
ziehen kann, ohne eine Überraschung in entgegengesetztem Sinne befürchten zu
müssen, so ist es die, daß christliche Fürsten und christliche Bölker, welche
unter der Suzeränetät der Türkei gestanden, nur so lange unter derselben
blieben, als es ihnen nicht gelang, dieselbe abzuschütteln. Nachdem aber,
bisher wenigstens, die türkische Macht immer viel stärker war, als daß ein
Fürst oder eine Provinz Aussicht gehabt hätte, ans Ziel zu gelangen, so
folgte daraus, daß der betreffende Fürst oder die betreffende Provinz sich
jedesmal notwendigerweise mit allen malkontenten Elementen verbündete, welche
im türkischen Reiche zu finden waren, und sich stets jener Macht anschloß,
welche aus welchem Grunde immer die Türkei bekriegte, gleichviel, ob ihre
Endziele übereinstimmten oder nicht. Das ist die kurze Geschichte der Orient-
verwicklungen in der Vergangenheit.
Es liegt mir fern, die bona füides des Fürsten von Bulgarien in
Zweifel zu ziehen, nichtsdestoweniger muß ich es für zweifellos halten, daß,
was in der Vergangenheit geschehen, in Zukunft auch trot des besten Wil-
lens des betreffenden Fürsten sich wiederholen würde. In der Vergangenheit
war nämlich der Vasallen-Charakter eine den einstigen Verhältnissen ent-
sprechende und acceptierte internationale Stellung und war um so erträglicher,