Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechster Jahrgang. 1890. (31)

96 Das dentsche Reihh und seine einzelnen Glieder. (Juni 7.) 
übernehmen für ein Ja der Regierungsvorlage gegenüber. Nun haben Sie 
aus dem Munde des Herrn Abg. Dr. Windthorst und aus meinen eigenen 
Aeußerungen entnommen, daß noch in den letzten Wochen der Papst den 
Bischöfen und der Zentrumspartei es überlassen hat, sich zur Vorlage zu 
stellen, wie sie wollen. Der Sinn der Erklärung des Papstes, wenigstens so 
weit ich verstehe, ist doch der, daß diesen beiden Kategorien von Vertretern 
des katholischen Volks überlassen wird, das zu thun, was fie für recht halten, 
und daß vom päßpstlichen Standpunkte aus diese Frage eine innerpreußisch- 
kirchliche ist, welche nach Gesichtspunkten zu entscheiden ist, die den Papst 
als Vertreter der katholischen Kirche unmittelbar nicht angeht. Nun spielt 
sich vor unseren Augen gewissermaßen ein Kampf ab oder ein Schachspiel 
— das ist vielleicht der korrektere Ausdruck; wir sehen auch heute bei dem 
Herrn Abg. Dr. Windthorst das Bemühen, die Verantwortung für die Ab- 
lehnung oder Zustimmung den Bischöfen zuzuschieben. (Widerspruch im Zen- 
trum.) — Nicht? Ich denke doch! Der Sinn des Antrages Windthorst kann 
nur der sein, daß die Regierung sich unter Suspension der gegenwärtigen 
Verhandlungen mit den Bischöfen zu vereinigen und, wenn die Vereinigung 
zu stande gekommen ist, daraufhin einen Gesetzentwurf aufzubauen hat. Die 
Bischöfe haben sich geäußert! — so hat der Herr Abg. Dr. Windthorst mir 
mit Emphase zugerufen, ich möchte es ihm, wenn auch ohne Emphase, zurück- 
geben. Die Bischöfe scheinen sich nicht geäußert zu haben trotz der Vollmacht 
des Papstes; denn, wenn sie sich geäußert hätten, wäre der Antrag Windthorst, 
wie wir ihn heute vor uns sehen, unnütz, und wir würden sicherlich gehört 
haben, was die Bischöfe gewollt und beschlossen haben. Dasjenige, was über 
die Stimmung der Bischöfe in die Oeffentlichkeit gedrungen ist, läßt darauf 
schließen, daß ihr prinzipieller Standpunkt vom August vorigen Jahres doch 
nicht unbedingt festgehalten wird. Es find zudem die Aeußerungen, die in 
der Presse mehrfach aufgetaucht sind, meines Erachtens ein ganz sicheres 
Kennzeichen, daß auch im Klerus die Meinung keineswegs so geschlossen ist, 
wie der Herr Abg. Graf Strachwitz anzunehmen scheint. (Zuruf: Doch!) — 
Sie sagen: Doch!; ich habe hier — (Zuruf: Einige Domherren!) — Einige 
Domherren? Domherren sind Menschen und auch Kleriker, und wenn ich 
Ihnen anführen kann, daß Domherren der Meinung find, das Gesetz sei 
tolerabel, könne angenommen werden unter gewissen Kautelen auf Grund des 
Artikels 3, so ist das wohl ein sicheres Argument gegen die Behauptung des 
Abg. Grafen Strachwitz. Die Frage, die ich hier berührt habe, ist Gegen- 
stand der Erörterung in einem der ultramontansten Blätter geworden, in dem 
„Westfälischen Volksblatt“, welches bekanntlich unmittelbar sich in vollem 
Anschluß an das Generalvikariat und den bischöflichen Stuhl in Paderborn 
hält. In diesem Blatte heißt es wörtlich: 
wir können Vorstehendem hinzufügen, daß unser hochwürdigster Herr 
Bischof im Einverständnisse mit dem hochwürdigen Generalvikariate An- 
nahme der in Rede stehenden Gesetzesvorlage für zulässig erachtet, sofern 
die Befugnisse des Herrn Ministers rücksichtlich der Verwendung der an- 
gebotenen Rente beschränkt werden. 
Meine Herren, es ist nach der ganzen Haltung des Blattes unmög- 
lich, daß dasselbe in seine Spalten auf solchem Gebiete etwas anderes auf- 
nimmt, als das, wozu es vom Generalvikariat ausdrücklich ermächtigt ist. 
Der Generalvikar ist Schulte, früher Erwitte genannt; er gehört, wie die 
Herren wissen, zu den zielbewußtesten und entschlossensten Vertretern der 
katholischen Kirche. Von der einheitlichen Stimmung, mit der sie uns hier 
einschüchtern wollen, kann man also, wie Sie sehen, nicht sprechen. Selbst 
dann nicht, wenn es nur einige Domherren wären: aber meines Wissens — 
sollte ich falsch berichtet sein, so nehme ich es zurück — hat sich auch das
	        
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