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vorletzten Manövertage einem kühleren Verhältnisse gewichen sei" und man
in St. Petersburg annehme, „Kaiser Wilhelm habe verschiedene Vorschläge
zur Lösung der schwebenden politischen Fragen, speziell der bulgarischen,
gemacht, die den Wünschen des Zaren keineswegs entsprachen"; als Beweis
dafür, „daß eine gewisse Verstimmung“ eingetreten sei, führe man dort „den
vorzeitigen Abbruch der Manöver an, deren Fortsetzung offen gelassen war.“
Wir sind zu der Erklärung ermächtigt, daß die thatsächlichen Voraus-
setzungen, auf welchen der erwähnte Artikel beruht, jedes Grundes entbehren.
In den „Preußischen Jahrbüchern“ erscheint ein Artikel,
welcher die Aufnahme des deutschen Kaisers durch den russischen
Hof als kalt und formell schildert, den Besuch selbst „unerfreulich“
und „überflüssig“ nennt und ihn erklärt, als eine Erbschaft der
Bismarckschen Politik, durch persönliches Entgegenkommen die ob-
jektiven Gegensätze zwischen Deutschland und Rußland zu mildern.
In den „Hamb. Nachrichten“ wird darauf sehr gereizt der Nach-
weis verlangt, daß dieser Besuch noch seinerzeit vom Fürsten Bis-
marck arrangiert worden sei und mehrfache offiziöse Auslassungen
stellen, ohne jedoch allgemein Glauben zu finden, die Auffassung
der „Preußischen Jahrbücher“ an dem Besuch als gänzlich verfehlt
hin und keiner Beachtung würdig.
3. September. (Bayern.) Der ehemalige Ministerpräsident
Freiherr v. Lutz f. Der Kaiser und der Prinzregent erlassen Bei-
leidschreiben an die Witwe.
Anfang September. In Schleswig-Holstein finden vor dem
Kaiser kombinierte Armee= und Flottenmanöver statt, zu
welchen auch ein österreichisches Geschwader unter Kommando
des Admirals v. Sterneck erschienen ist. Auch der englische Flotten-
admiral Hornby wohnt den Manövern bei. Bei dem Festessen am
3. September hält der Kaiser folgende Rede:
„Ich spreche Ihnen den Dank der Kaiserin und Meinen aus für die
freundlichen Worte, die Wir soeben vernommen, und zu gleicher Zeit den
Dank an die ganze Provinz für den heutigen Tag und für den Empfang,
den Uns die Provinz bereitet hat. Es hätte des heutigen Tages nicht be-
durft, um Unseren Herzen es klar zu machen, wie warm und freundschaft-
lich Unserer hier gedacht wird. Das Band, welches Mich mit dieser Pro-
vinz verbindet und dieselbe vor allen anderen Provinzen Meines Reichs an
Mich kettet, das ist der Edelstein, der an Meiner Seite glänzt, Ihre Moajestät
die Kaiserin. Dem hiesigen Lande entsprossen, das Sinnbild sämtlicher
Tugenden einer germanischen Fürstin, danke Ich es Ihr, wenn Ich im stande
bin, die schweren Pflichten Meines Berufes mit dem freudigen Geiste zu
führen und ihnen obzuliegen, wie Ich es vermag. Sie haben die Güte ge-
habt, zu erwähnen, daß Sie sich sicher fühlten unter Meinem Zepter, daß
Sie beruhigt in die Zukunft schauen; dasselbe thue auch Ich, wenn Ich
auf solche Männer, wie die Schleswig-Holsteiner, bauen kann. Ich hoffe,
daß es Mir gelingen wird, die Schatten, von denen Sie sprachen, zu bannen.