Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dez. 5.) 179
Ich habe mir einige Zahlen aufgeschrieben, die statistisch interessant
sind. Es gibt in Preußen Gymnasien und Progymnasien 308 mit 80,979
Schülern, Realgymnasien und Real-Progymnasien 172 mit 34,465 Schülern,
lateinlose Ober-Realschulen und höhere Bürgerschulen 60 mit 19,893 Schü-
lern. Es erwarben die einjährig-freiwillige Berechtigung auf den Gymna-
sien 68 Prozent, auf den Realgymnasien 75 Prozent und auf den latein-
losen Realanstalten 38 Prozent. Das Reifezeugnis bei dem Abiturienten-
Examen erwarben auf den Gymnasien 31 Prozent, auf den Realgymnasien
12 Prozent, auf den Ober-Realschulen 2 Prozent. Jeder Schüler der ge-
nannten Anstalten hat etwa 25,000 Schul= und Hausarbeitsstunden und
ungefähr nur 657 Stunden darunter Turnstunden. Das ist ein Uebermaß
der geistigen Arbeit, das entschieden herabgedrückt werden muß! Für den
Zwölf-, Dreizehn-, Vierzehnjährigen in Quarta und Tertia beträgt ein-
schließlich des Turnens und Singens die wöchentliche Stundenzahl durch-
schnittlich 32, steigt in einzelnen Anstalten auf 35 und in der Tertia des
Realgymnasiums sage und schreibe 37 Stunden. Nun, meine Herren, wir
sind alle mehr oder minder gereift und arbeiten, was wir können, aber auf
die Dauer würden wir eine solche Arbeit auch nicht aushalten. Die statisti-
schen Angaben über die Verbreitung der Schulkrankheiten, namentlich der
Kurzsichtigkeit der Schüler, sind wahrhaft erschreckend, und für eine Anzahl
von Krankheitserscheinungen fehlt es an einer allgemeinen Statistik noch.
Bedenken Sie, was uns für ein Nachwuchs für die Landesverteidigung er-
wächst. Ich suche nach Soldaten, wir wollen eine kräftige Generation haben,
die auch als geistige Führer und Beamte dem Vaterlande dienen. Diese
Masse der Kurzsichtigen ist meist nicht zu brauchen, denn ein Mann, der
seine Augen nicht brauchen kann, wie will der nachher viel leisten! In
Prima steigert sich in einzelnen Fällen die Zahl der Kurzsichtigen bis auf
74 Prozent. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, daß wir, trotzdem wir
in Kassel ein sehr gutes Zimmer hatten, das Lehrerkonferenzzimmer, mit
einseitigem schönen Licht und guter Ventilation, die auf Wunsch meiner
Mutter angebracht wurde, doch unter 21 Schülern 18 mit Brillen hatten
und 2 darunter, die mit der Brille nicht bis an die Tafel sehen konnten.
Diese Sachen verurteilen sich von selber, da muß eingeschritten werden, und
deshalb halte Ich es für sehr dringend, daß die Frage der Hygiene schon
in den Vorbereitungsanstalten für die Lehrer aufgenommen werde, die Lehrer
einen Kursus darin erhalten und die Bedingung daran geknüpft wird, jeder
Lehrer, der gesund ist, muß turnen können, und jeden Tag soll er turnen.
Meine Herren, das sind im allgemeinen die Gesichtspunkte, die Ich
Ihnen zu entwickeln habe, Dinge, die Mein Herz bewegt haben, und Ich
kann nur versichern: die massenhaften Zuschriften, Bitten und Wünsche, die
Ich von den Eltern bekommen habe, obwohl wir Bäter von Meinem ver-
ehrten Herrn Hinzpeter im vorigen Jahre für eine Partei erklärt wurden,
die bei der Erziehung der Kinder nicht mitzureden hätte, legen Mir, als
allgemeinem Landesvater, die Pflicht auf, zu erklären: es geht nicht so
weiter. Meine Herren, die Männer sollen nicht durch Brillen die Welt an-
sehen, sondern mit eigenen Augen und Gefallen finden an dem, was sie vor
sich haben, ihrem Vaterlande und seinen Einrichtungen. Dazu sollen Sie
jetzt helfen!
Die Rede des Kaisers ruft in der Presse sowohl lebhaften
Beifall als auch entschiedene Verwahrungen hervor.
5. Dezember. (Abgeordnetenhaus.) Erste Beratung des
Gesetzentwurfs, betreffend die öffentliche Volksschule.
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