Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechster Jahrgang. 1890. (31)

Bie Gesterreiisch-Augarische Monarchie. (März 21. — April 9.) 195 
in Ost und West auf eine Blöße lauern, um einen, wie sie wähnen, ver- 
nichtenden Stoß zu führen.“ 
21. März. Es wird ein Schreiben des Fürstbischofs Kopp 
von Breslau, welcher als solcher auch dem österreichischen Reichs- 
rate angehört, bekannt, in welchem er sich über die Schulgesetz- 
forderung des österreichischen Episkopats folgendermaßen 
äußert: 
„In der Behandlung der österreichischen Schulfrage kommen zwei 
Kreise in Betracht, die katholische Partei des Reichsrats und der Episkopat. 
Die erstere betrachtet die Schulfrage nicht allein vom kirchlichen Standpunkte, 
sondern verbindet dieselbe mit politischen Interessen und Zielen — darin 
liegt aber eben eine große Gefahr. Der Episkopat hat dagegen zu der Schul- 
frage auf der letzten November-Konferenz, an welcher auch der Fürstbischof 
von Breslau als österreichischer Bischof teilnahm, einstimmig und ohne jede 
Ausnahme eine klare und bestimmte Stellung genommen, hat darüber der 
jetzt zusammengetretenen Herrenhaus-Kommission keinen Zweifel gelassen und 
wird nicht ruhen, bis den Rechten der Kirche und den Wünschen der öster- 
reichischen Katholiken voll und ganz entsprochen ist. Daraus geht hervor, 
in welcher Richtung der Episkopat die katholischen Parlamentarier im öster- 
reichischen Reichsrate beeinflußt haben würde, wenn er dazu im stande wäre. 
Leider sind die österreichischen Verhältnisse so eigenartig, daß von einem solchen 
Einflusse nicht die Rede sein kann, und der Episkopat in seinen rein kirch- 
lichen Bestrebungen wohl allein vorangehen muß. Allein wenn derselbe vor- 
erst auch allein bliebe, von einem Nachgeben ist bei ihm keine Rede, und 
irgend eine Ausnahme von dieser Gesinnung besteht durchaus nicht. 
Hochachtungsvoll 
Georg, Fürstbischof von Breslau.“ 
22. März. (Rücktritt Bismarcks.) Das offiziöse „Frem- 
denblatt“" sagt: 
Fürst Bismarck werde der Patriarch bleiben, an dessen Weisheit 
und Erfahrung als an die des größten Mannes der Nation, des gründlich- 
sten Kenners der Verhältnisse, der Kaiser auch fernerhin zeitweilig appellieren 
werde. Die Prophezeiungen, der Rücktritt des Fürsten Bismarck werde eine 
Erschütterung des Dreibundes oder gar des Deutschen Reiches nach sich ziehen, 
seien abenteuerlich; der Bestand des Deutschen Reiches sei nicht von einzelnen 
Sterblichen abhängig; ebenso ruhe der Dreibund auf der Erkenntuis einer 
so tiefreichenden Interessengemeinschaft, daß das Zurücktreten eines noch so 
bedeutenden Ministers die Friedensliga nicht zu berühren vermöge. Erfüllt 
von bundesfreundlichen Wünschen für das benachbarte Reich, betrachtet Oester- 
reich-Ungarn mit aufrichtiger Genugthuung jene Zuversicht, die dem vom 
Kaiser erwählten, in manchem wichtigen Amte bewährten Nachfolger Bis- 
marcks in Deutschland entgegengebracht werde. 
31. März. (Wien.) Ein Streik der Maurer= und Stein- 
metzgehülfen bricht aus. 
9. April. (Wien.) In dem Vororte Neulerchenfeld kommt 
es zu großen Ausschreitungen der streikenden Arbeiter. Die 
Exzedenten dringen in zahlreiche Verkaufsgewölbe ein, zertrümmern 
deren Inhalt und verstreuen ihn auf der Straße. In zwei Brannt- 
13“
	        
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