Vas beutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. Mitte.) 11
Die Nationalliberalen berufen sich ebenfalls auf die Leistungen
des Kartell-Reichstages, speziell auch auf die Invaliditäts-Versicherung, weisen
auf die Verdächtigungen hin, daß die Kartell-Mehrheit die Volksrechte habe
verkürzen oder Monopole einführen wollen, die nun zu Schanden geworden
seien, verlangen weiteres Zusammemwirken einer staatserhaltenden Mehrheit
„gleichviel ob von liberalen oder konservativen Grundanschauungen bestimmt"“
und sagen über die Aufgaben der Zukunft: „Er soll vor allem die Einheit
des Rechts durch die Schaffung eines den heutigen Rechtsanschauungen ent-
sprechenden bürgerlichen Gesetzbuchs in deutscher Sprache vollenden. Er soll
das Werk der sozialen Reform, das der treuen Fürsorge des Kaiserlichen
Enkels übergebene Vermächtnis des großen Gründers des Deutschen Reiches,
seines ersten Kaisers, ausbauen, unter weiser Berücksichtigung der Leistungs-
fähigkeit von Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe, insbesondere im Wett-
bewerb mit dem Auslande. Die Bestrebungen zur Erweiterung und Durch-
führung eines angemessenen Schutzes der Arbeiter, wie solche von dem ge-
samten Reichstage wiederholt gutgeheißen wurden, sind zum Abschluß zu
ringen.
Wie bisher erachten wir es für unsere Pflicht, den Staat und die
Rechtsordnung gegen die Umsturzbestrebungen der Sozialdemokratie zu
schüzen und dazu wirklich unerläßlichen Machtmittel den Regierungen zu
gewähren.
In der auswärtigen Politik werden wir auch fernerhin der bewährten
Leitung unseres Reichskanzlers folgen. Ihr verdanken wir vor allem die
Erhaltung des Friedens und als seine feste Bürgschaft den innigen Freund-
schaftsbund mit den Nachbar-Reichen Oesterreich-Ungarn und Italien.
Nachdem die geeinigte deutsche Nation gleich allen großen Völkern in
Vergangenheit und Gegenwart, die ersten Schritte auf dem Gebiete über-
seeischer Kolonisation zur Erweiterung und Sicherung ihrer Erwerbsthätig-
keit gethan hat, werden wir die vorsichtige, hierauf gerichtete Politik des
Reiches auch weiter unterstützen, nicht minder die Teilnahme Deutschlands
an den europäischen Bestrebungen zur Verbreitung christlicher Kultur in
Afrika und zur Unterdrückung des Sklavenhandels, befördern.
Die großen außerordentlichen Bewilligungen für die bessere Aus-
rüstung unseres Heeres haben im wesentlichen ihren Abschluß gefunden. Es
ist somit an der Zeit das Finanzwesen des Reichs namentlich durch Ein-
führung einer regelmäßigen Schuldentilgung besser zu ordnen und daneben
auf eine Erhöhung der Gehalte der unteren und mittleren Reichsbeamten
Bedacht zu nehmen. Im übrigen ist die Reform der direkten Staats= und
Kommunalsteuern behufs gerechterer Heranziehung der großen Einkommen
und entsprechender Entlastung der Minderbegüterten in Stadt und Land die
Aufgabe der Einzelstaaten.
Diese und andere Reformen sind nur erreichbar mit einem Reichstage,
dessen Mehrheit, fern von allen persönlichen Gegensätzen und grundsätzlicher
Opposition, unbefangen und unabhängig die Vorlagen der Reichsregierungen
prüft und lediglich nach sachlichen Rücksichten entscheidet.
Für die Wahl einer solchen Mehrheit einzutreten, ist heute mehr
als jemals die Pflicht aller Vaterlandsfreunde. Nicht im Interesse der
Partei, für das Vaterland rufen wir unsere Freunde auf, daß ein jeder
seine Schuldigkeit thue. Es ist Eure, es ist die Sache des Deutschen Reiches,
um welche es sich handelt. Vereinigt Euch, bezeichnet den Mann Eures
Vertrauens im Vereine mit den uns nahe stehenden Parteien, wirkt beleh-
rend durch Wort und Schrift. Lasset Euch leiten durch die großen vater-
ländischen Gesichtspunkte, nicht durch kleine Meinungsverschiedenheiten und
Interessengegensätze.