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lassen schien (vgl. S. 85), schienen alle Parteien bereit, die Forderung
der Regierung zu bewilligen. Da machte der Kriegsminister in der
Kommissionsberatung einige Andeutungen, daß diese Forderung noch
nicht die letzte sei, sondern weit größere dahinter ständen, die nach-
folgen würden. Es handle sich um die volle Durchführung der
Scharnhorstschen Gedanken, um die „wirkliche allgemeine Wehr-
pflicht“ (ugl. S. 87). Eine unermeßliche Perspektive war damit
eröffnet. Denn naturgemäß ist der Begriff der Diensttauglichkeit
ein äußerst dehnbarer. Sehr viele junge Leute mit ganz geringen
Fehlern werden heute noch im Deutschen Reich vom Kriegsdienst
befreit und selbst einige Tausende, an denen gar kein Fehler zu
entdecken ist, als überzählig ausgelost. Eine erhebliche Steigerung
der deutschen Militärkraft ist also noch sehr wohl möglich. Hält
eine Regierung eine große Neubelastung der Art für unvermeidlich,
so ist es notwendig, eine solche Forderung sofort bestimmt zu um-
grenzen und die etwaigen Erleichterungen, die als Kompensationen
geboten werden können, hinzuzufügen. Geschieht das nicht, so hat
die Opposition die Möglichkeit, der öffentlichen Meinung Schreck-
bilder beliebiger Art von unerhörten Plänen und Anforderungen
vorzuspiegeln, denen die Freunde der Regierung, da sie nicht wissen,
wie weit die Forderungen gehen werden, was sie zugestehen, was
sie bestreiten dürfen, nicht im stande sind, wirksam zu widersprechen.
Sofort erspähte derjenige Führer der deutschfreisinnigen Partei, dem
die Annäherung an die Regierung seiner ganzen Natur nach, die
jeder positiven Schöpfung abhold ist, höchst widerwärtig sein mußte,
der Abgeordnete Eugen Richter diese Blöße. Er setzte mit seiner
ganzen Kunst der Demagogie eine große Agitation in Szene, er-
regte in der deutschfreisinnigen Wählerschaar Entsetzen durch unge-
heuerliche Zahlenbilder und brachte sie so weit, mit Petitionen und
Resolutionen ihre Vertreter zu bestürmen, daß sie dem Begehren
der Regierung von Anfang an Widerstand entgegensetzen sollten.
Davon daß die deutschfreisinnige Partei in der Militärfrage mit
der Regierung zu einer Verständigung gelangt, hängt natürlich
ihre Stellung überhaupt ab und es gelang Richter wirklich, seine
Fraktionsgenossen einzuschüchtern und sie zur Verwerfung der Re-
gierungsvorlage zu bestimmen, obgleich der Reichskanzler v. Caprivi
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXI. 21