Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechster Jahrgang. 1890. (31)

Aebersicht der pelitischen Entwinzelung des Jahres 1890. 325 
die Regierung über die Ansicht der Kurie getäuscht haben (val. 
S. 63, 5. Mai, und S. 97 und 98). Endlich erklärten die Kartell- 
parteien, daß sie ihrerseits, nachdem sie dem Zentrum noch einen 
Schritt entgegengekommen (Amendement Hobrecht-Limburg-Zedlitz), 
nicht für das Gesetz stimmen würden, wenn nicht das Zentrum die 
Erklärung abgebe, daß es die Lösung als befriedigend anerkenne, 
und selber für das Gesetz stimme. Da das Zentrum sich dazu nicht 
bereit finden ließ, offenbar in der Hoffnung, bei Gelegenheit durch 
ein parlamentarisches do ut des die ganz freie Verfügung über den 
Fonds zu erhalten, so wurde das in zweiter Lesung angenommene 
Gesetz in dritter Lesung abgelehnt (7. Juni). 
Das Verhältnis der katholischen und evangelischen Kirche Webr. 
zum modernen Staat ist in Deutschland ausgebildet nach dem u 
Grundsatz der Parität, ein Prinzip, das mechanisch angewendet zu logen. 
großen Unzuträglichkeiten führen muß, da die beiden Kirchen ihrer- 
seits sich durchaus verschieden zum Staate stellen. Zum erstenmal 
wurde deshalb der Grundsatz der Parität durchbrochen, als das 
Zentrum (Dezember 1889) den Antrag stellte, die Studierenden der 
Theologie von der militärischen Wehrpflicht zu befreien. Dem stellte 
der Abgeordnete Delbrück den Antrag gegenüber, bei dem gänzlich 
verschiedenen Charakter eines katholischen Priesters und eines evan- 
gelischen Geistlichen nur die katholischen Theologen zu befreien, die 
evangelischen aber nicht. Um den Grundsatz der Parität aufrecht 
zu erhalten, lehnte das Zentrum in der zweiten Lesung das Amende- 
ment ab. Darauf erhob sich aber ein solcher Sturm von Petitionen 
unter den evangelischen Geistlichen, Professoren, Pastoren, Semi- 
naristen und Studenten, die gegen die Ehrenkränkung, die durch 
Entlassung aus der höchsten Bürgerpflicht ihrem Stande zugefügt 
werde, protestierten, daß in der dritten Lesung (18. Januar) der 
Reichstag sein Votum reformierte und die Befreiung auf die 
katholischen Theologen beschränkte (Gesetz vom 8. Februar; vgl. die 
Zusammenstellung der Petitionen in der „Christlichen Welt“ vom 
2. März). 
Im Herbst begann mit der neuen Landtagssession die lange #eform= 
unterbrochene legislatorische Arbeit in Preußen. Eine ganze Serieseiete in 
Preußen. 
von tief einschneidenden Reformgesetzen wurde zugleich vorgelegt
	        
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