Schul-
reform.
326 Nebersicht der politischen Gntwichelung des Jahres 1890.
und durch den Ministerpräsidenten selbst in gewichtiger Weise ein-
geführt. Der neue Finanzminister Miquel trat auf mit einer Re-
form der direkten Steuern, ganz neuer Konstruktion der Einkommen-
steuer mit Selbst-Deklaration der Pflichtigen, einer Erbschaftssteuer
und Reform der Gewerbesteuer. Der Minister des Innern Herr-
furth brachte die lange besprochene Landgemeindeordnung für die
östlichen Provinzen. Der Kultusminister v. Goßler brachte einen
umfassenden Entwurf über die Volksschule, und alle hingen, wie
der Ministerpräsident in seiner Einführungsrede sagte, innerlich
und organisch zusammen. Auf den Inhalt dieser Reform-Gesetz-
gebung wird es sich empfehlen zurückzukommen, nachdem ihr Schick-
sal definitiv entschieden ist. Ueber die Landgemeindeordnung war
bereits am Schluß des Jahres zwischen dem Minister des Innern
und den Konservativen eine scharfe Friktion entstanden (vgl.
S. 184).
Wie zur Aufnahme der neuen Sozial-Gesetzgebung die per-
sönliche Initiative des Kaisers den Anstoß gegeben hatte, so wurde
durch ihn persönlich in demselben Jahre noch ein anderes großes
Problem in Fluß gebracht. Schon lange herrschte in weiten Schich-
ten Unzufriedenheit mit dem höheren Unterrichtssystem in Deutsch-
land. Die Jugend werde überbürdet, die Pädagogik bewege sich in
Richtungen, die mit dem modernen Leben in Widerspruch ständen,
und endlich werde eine Ueberproduktion von Studierten erzeugt, die
keine Verwendung finden könne und brach liege. Zahllos waren
die Vorschläge zur Abhilfe. Unterrichtsgegenstände, Methode, Hy-
giene, Berechtigungswesen wurden diskutiert. Endlich wurde eine
große Kommission von Schulmännern, theoretischen Pädagogen
und persönlichen Vertrauensmännern des Kaisers berufen, um im
Kultusministerium den ganzen Komplex der Fragen zusammen-
hängend zu diskutieren. In längeren persönlichen Ansprachen er-
öffnete und schloß der Kaiser diese Konferenzen und erklärte dabei
dem bestehenden System geradezu den Krieg. Nichtsdestoweniger
gab er dem offiziellen Vertreter dieses Systems, dem Minister
v. Goßler, der sich in parlamentarischen Aussprachen persönlich
für die bestehenden Prinzipien engagiert hatte, wiederholt die stärk-
sten Beweise des Vertrauens, so daß dieser im Amte verblieb.