Das Dentsche Reithh und seine einzeluen Glieder. (Juni 23. —24.) 107
die Ablösung der Steuerfreiheit der Reichsunmittelbaren zum 13⅛-.
fachen Betrage zu stande gekommen.
23.—26 Juni. Aufenthalt des Fürsten Bismarck in
München auf der Reise nach Kissingen. Bei der 2 Uhr nachts
erfolgenden Ankunft in München wird der Fürst mit großartigen
Ovationen feierlich empfangen. Der Fürst nimmt bei Professor
Lenbach Wohnung.
24. Juni. Fürst Bismarck empfängt eine städtische Depu-
tation mit dem Bürgermeister an der Spitze und hält ihr fol-
gende Rede:
Meine Herren, ich bin sehr dankbar für die hohe Ehre Ihres Be-
suchs. Als ich diese Reise antrat, that ich es mit dem hoffnungsfrohen
Herzen eines Vaters, der für seinen Erstgeborenen eine Lebensgefährtin findet,
die allem entspricht, was ein Vater seinem Sohn wünschen kann. Aber ich
habe nicht erwarten können, daß meine Befriedigung durch eine so glänzende
Aufnahme überall und durch politische Erfahrungen (anders kann ich es auch
als Privatmann nicht bezeichnen) erhöht werden sollte, wie ich sie, besonders
in Dresden und hier, gemacht habe. Die wohlwollenden Begrüßungen,
welche mir zu teil wurden, sind eine Genugthuung für mich, besonders weil
niemand, der sich mir nähert, Grund hat, von mir irgend etwas zu erwarten
oder zu fürchten, während in Amt und Würden ein gewisser Abzug geboten
ist. Ich bin tief gerührt davon und in hohem Maße erfreut. Es ist mir,
ich möchte sagen, als wenn ich Absolution von meinen politischen Sünden
erhielte, die ich ja begangen habe wie jeder andere, der so lange wie ich am
Ruder geblieben ist. Es ist das ein Zeugnis, das die besseren Eindrücke
meiner Amtsführung die überwiegenden geblieben sind und ich habe das
Gefühl eines Primaners, der mit einem guten Abiturientenzeugnisse abgeht.
Zugleich geben mir diese Kundgebungen Grund zu fester Hoffnung für unsere
deutsche Zukunft. Das ist keine Ueberhebung, denn die Aeußerungen des
Wohlwollens für mich persönlich sind ein Ausdruck der Befriedigung mit
den Zuständen, wie sie sind, und da ist Aussicht, daß die 50 Millionen
unserer Landsleute sich das Errungene nicht werden rauben lassen. Es ist
eine besondere Fügung Gottes gewesen, daß er unsere lange von der Vor-
sehung scheinbar vergessene Nation Wege geleitet hat, die zu einer dauernden
Einigung zu führen geeignet waren. Nehmen Sie an, die Einigung wäre
durch kriegerische Macht von irgend einer Seite erzwungen worden; da wäre
in den Vergewaltigten das Gefühl der Gegnerschaft schwer erloschen und
die Dauer des Werkes zweifelhaft. Aber Gott hat uns geführt, daß in
jenem Werdegange — wie man im Norden sagt — alle Volksstämme mit
deutschen Armes Kraft mit auf den Ambos zugeschlagen haben, auf dem
die deutsche Einheit geschmiedet haben. Die Sachsen bei St. Privat, die
Württemberger vor Paris, die Bayern bei Wörth, Bazeilles und im Schnee
von Orleans, sie alle haben freudige und stolze Erinnerungen an die Tage
unserer Einigung. Das ist Gottes Gnade, daß es so gekommen ist. Wenn
nach 1866 das Deutsche Reich schon hergestellt wäre, so hätte es auf viele
unserer Landsleute doch den Eindruck einer Gewaltthat gemacht, und der
Bürgerkrieg als einziges Mittel zur Lösung des gordischen Knotens unserer
geschichtlich überkommenen Uneinigkeit würde trübe Ausblicke in die Zukunft
gestattet haben. Aber, daß wir alle vereint mithelfen können, ist die Bürg-
schaft der Dauer. Vollkommen ist ja nichts auf dieser Welt und wir werden