110 Fas PDentsqche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 26.)
ich die Gelegenheit benutzen, öffentlich einen zweiten Protest zu erheben.
Vor kurzem hat der „Osservatore Romano“, ein gleichfalls in Rom erschei-
nendes katholisches Blatt, dessen Mißgriffe ich schon voriges Jahr in Düssel-
dorf scharf tadeln mußte, es versucht, dem Dogma von der Unfehlbarkeit
des Papstes eine Auslegung zu geben, welche ebenso irrig wie thöricht und
gewiß den Gesinnungen des heiligen Vaters entgegen ist und nur zu sehr
geeignet, unseren Gegnern und den Feinden der Kirche eine Waffe in die
Hand zu geben, — eine falsche Auslegung, welche das Zentrum durch sein
Verhalten bei der Septennatsfrage schon widerlegt hat unter Anerkennung
des hl. Vaters. Es ist Zeit, den thörichten Aeußerungen dieser Blätter,
welche damit den Interessen der Kirche und der erhabenen Stellung des
Papstes nur schaden, entgegenzutreten. Wir deutschen Katholiken müssen
und haben es unter den schwersten Opfern bethätigt, was wir der Kirche
und derem erhabenen Oberhaupt schulden."“
26. Juni. Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“, ein Organ
des Fürsten Bismarck, bringt folgenden Artikel. Der Fürst habe
in Friedrichsruh einem seiner Gäste erzählt:
„Sie wundern sich, daß ich mich mit so wenig Anerkennung über
die Amtsführung meines Nachfolgers ausspreche, während ich es doch, nach
einer unwidersprochenen Angabe Windthorsts, gewesen wäre, der ihn dem
Kaiser als meinen Nachfolger empfohlen haben soll. Die Sache verhält sich
folgendermaßen: Zu einer Zeit, da ich nicht entfernt daran denken konnte,
daß der Kaiser mich gerne los wäre, sprach ich einmal mit Seiner Majestät
von der Möglichkeit, daß das Reichskanzleramt versuchsweise von der preußi-
schen Ministerpräsidentschaft getrennt werden könnte, einer Möglichkeit, die
vielleicht zum erstenmal dann sich wieder einstellen würde, wenn ich tot wäre.
Damals sagte ich dem Kaiser, für diesen Fall würde ich ihm rathen, an die
Spitze des preußischen Ministeriums einen schneidigen General zu stellen.
Ich that das, weil ich der Meinung war, daß Verhältnisse eintreten könnten,
wo die damaligen Chefs der drei wichtigsten preußischen Ressorts an der
nötigen Schneidigkeit zu wünschen übrig ließen. Der Chef der Polizei war
liberal, der Chef des Kriegswesens war liberal und Schwadroneur, der Chef
der Staatsanwaltschaften zwar nicht gerade liberal, aber doch zerfahren und
unsicher. Beispielsweise nannte ich, weil mir der gerade zuerst einfiel, den
Namen Caprivi; — aber mein Vorschlag galt nicht dieser Persönlichkeit,
sondern nur dem Generalsrange und der Schneidigkeit. Bezüglich letzterer
habe ich mich gründlich getäuscht. Es ist mir das nicht oft passiert. Bis
dahin war mir Caprivi immer eine sympathische Persönlichkeit gewesen. Er
war stramm und aufrecht, kurz im Reden und überhaupt schweigsam. Als
ich seine ersten Reden als Ministerpräsident und Reichskanzler in den Par-
lamenten las, in denen er lang und breit alle möglichen Dinge vortrug und
ausführte, die nicht zur Sache gehörten, und die kein Mensch bestreitet,
da wußte ich, daß ich mich getäuscht hatte. Wie mir nun später gesagt
worden ist, hat sich der Kaiser schon damals Caprivi von Hannover herüber-
kommen lassen und ohne mein Wissen mit ihm verhandelt. Wenn Windt-
horst wirklich gesagt hat, Caprivi werde mein Nachfolger oder er sei seit
lange dazu bestimmt gewesen, so hat er nicht mit meinem, sondern mit des
Kaisers Kalbe gepflügt. Ich habe außer vor dem Kaiser vor niemandem den
Namen Caprivi's in solchem Zusammenhange genannt, und meine bezügliche
Unterredung mit dem Kaiser war ohne Zeugen.
Lange übrigens bevor der Kaiser mich rundweg auffordern ließ, meine
Entlassung zu erbitten, was ich zu thun mich weigerte, indem ich passiven