Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

192 Jas Deuische Reich und seine einzelsen GElieder. (Dezember 7.—8.) 
gebrachte Gesetzentwurf zur Einführung der Entschädigung für 
unschuldig erlittene Strafen unter Abänderung der Bestim- 
mungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens. Hiezu 
erklärt Staatssekretär des Reichsjustizamts Hanauer: 
Ich möchte dem Hause Mitteilungen über den Stand der Sache 
machen, die geeignet sind, die Debatte wesentlich zu erleichtern. Aus Anlaß 
der vorjährigen Verhandlung über denfelben Gegenstand hatte der Reichs- 
kanzler das Reichsjustizamt mit der Aufstellung eines Gesetzentwurfs über 
die Entschädigung unschuldig Verurteilter beauftragt. Gleichzeitig hat sich 
das preußische Justizministerium mit der Einführung der Berufung beschäf- 
tigt. Die Normen beider Entwürfe hat man zusammengeschmolzen zu einer 
Abänderung des Strafgesetzbuchs. Die neue Arbeit unterliegt zunächst der 
Beschlußfassung des preußischen Staatsministeriums. Natürlich kann ich 
nicht sagen, welche Stellung die verbündeten Regierungen der Vorlage gegen- 
über einnehmen und welchen weiteren Fortgang die Sache nehmen wird. 
7.—8. Dezember. Aufenthalt des Kaisers und der Kaiserin 
in Hannover. 
8. Dezember. (Berlin.) Parteitag der deutsch-konservativen 
Partei unter Vorsitz des Landrats v. Manteuffel--Crossen. Der 
Parteivorstand hat folgendes Programm vorgelegt: 
Die deutsche konservative Partei, unter Aufrechterhaltung ihres Pro- 
gramms von 1876, hält es für geboten, in Anlehnung an diese bewährten 
Grundsätze zu den wesentlichen Aufgaben der Gegenwart in nachstehendem 
Programm Stellung zu nehmen: 
1. Wir wollen die Erhaltung und Kräftigung der christlichen Lebens- 
anschauung in Volk und Staat und erachten ihre praktische Bethätigung in 
der Gesetzgebung für die unerläßliche Grundlage jeder gesunden Entwickelung. 
Staat und Kirche sind von Gott verordnete Einrichtungen; ein Zusammen- 
wirken beider ist die notwendige Vorbedingung zur Gesundung unseres Volks- 
lebens. Wir erkennen einerseits dem Staate das Recht zu, kraft seiner 
Souveränetät, sein Verhältnis zur Kirche zu ordnen; andererseits wollen 
wir keinen Gewissenszwang und deshalb kein Uebergreifen der staatlichen 
Gesetzgebung auf das Gebiet des inneren kirchlichen Lebens. In diesem Sinne 
werden wir auch für das gute Recht der evangelischen Kirche auf selbständige 
Regelung ihrer inneren Einrichtungen eintreten. Die konfessionelle christliche 
Volksschule erachten wir für die Grundlage der Volkserziehung und für die 
die wichtigste Bürgschaft gegen die zunehmende Verwilderung der Massen 
und die fortschreitende Auflösung aller gesellschaftlichen Bande. Wir be- 
kämpfen den vielfach sich vordrängenden und zersetzenden jüdischen Einfluß 
auf unser Volksleben. Wir verlangen für das christliche Volk eine christ- 
liche Obrigkeit und christliche Lehrer für christliche Schüler. Wir verwerfen 
die Ausschreitungen des Antisemitismus. 
2. Wir wollen die für unser Vaterland gewonnene Einheit auf dem 
Boden der Reichsverfassung in nationalem Sinne stärken und ausbauen. 
Wir wollen, daß innerhalb dieser Einheit die berechtigte Selbständigkeit und 
Eigenart der einzelnen Staaten und Stämme gewahrt werde. Wir wollen 
in Provinz, Kreis und Gemeinde eine Selbstverwaltung erhalten, gegründet 
nicht auf das allgemeine Wahlrecht, sondern auf die natürlichen Gruppen 
und organischen Gliederungen des Volkes.
	        
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