204 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 10.)
umph des Laienverstandes bezeichnet. Ich möchte dem Laienverstand die
Freude an diesem Triumph nicht schmälern; aber ist denn das das Kunst-
stück, die zweijährige Dienstzeit zu erfinden? Sie können eben so gut die
einjährige erfinden! Die Herren Abgeordneten von der Sozialdemokratie
haben uns neulich so ein leichtes Bild eines Milizheeres gezeichnet, das nur
einige Wochen dient. Das kann jeder sagen: ich interessiere mich für die
einjährige, zweijährige, dreijährige Dienstzeit. Das Kunststück war, die
Kompensationen zu finden, mit denen die zweijährige Dienstzeit allein für
uns annehmbar ist. Und diesen Triumph möchte ich dem militärischen Ver-
stande vindizieren. Diese Kompensationen sind für uns nichts gleichgül-
tiges, sondern sie sind der wesentlichste Theil der Sache, und unter diesen
Kompensationen ist die Vermehrung der Friedenspräsenzstärke für uns der
springende Punkt.
Führe ich dieses System 12 Jahre hinter einander durch, bewilligen
Sie also die Vorlage, so tritt nach 12 Jahren ein Zustand ein, in dem ich
bei Abzug von 15 Prozent Ausfall 450,000 Mann mehr an den Feind
führen kann als bisher oder 450,000 Junge mehr mitnehmen oder 450,000
Alte mehr zu Hause lassen kann. Nun wollen Sie gütigst bedenken, was
diese Zahl sagen will! Die Stärke der ausrückenden Feldinfanterie des
deutschen Heeres exklusive Landwehr betrug 1870 alles in allem 420,000
Mann; also das, was wir durch die Verjüngung erreichen, ist mehr, als
die gesamte Feldinfanterie im Jahre 1870 im Norddeutschen Bund und
süddeutschen Kontingenten zusammen betrug.
Abgeordneter Freiherr v. Manteuffel:
Die Vorlage, wie sie uns von den verbündeten Regierungen gemacht
worden ist, bringt eine dauernde Mehrbelastung mit sich, von der jedermann
anerkennt, daß sie eine sehr große ist; und dieses Anerkenntnis findet auch
darin seinen Ausdruck, daß man nicht versucht hat, diese Mehrbelastung etwa
im Wege der Matrikularumlagen zu erheben, sondern daß man sich dazu
entschlossen hat, den Vorschlag zu machen, diese Mehrbelastungen durch die
Einnahmen aus drei Steuerentwürfen aufzubringen. Ich werde auf diese
Steuerentwürfe später noch eingehen; ich meine aber, daß der Umstand, daß
eine dauernde Mehrbelastung von so großen Dimensionen dem deutschen
Volke zugemutet wird in einer Zeit, wie auch seitens des Herrn Reichs-
kanzlers anerkannt wird, tiefer wirtschaftlicher Depression, — daß dies uns
allerdings dahin bringt, daß wir mit großer Zurückhaltung an diese Vor-
lage sherantreten und daß wir uns die strengste Prüfung der Vorlage vor-
ehalten.
Der Herr Abgeordnete Rickert hat in seiner neulichen Rede beim
Etat, in der er sich ja im wesentlichen mit der Militärvorlage beschäftigte,
uns seinerseits eine volle sachliche Prüfung der Vorlage zugesichert; und ich
kann auch meinerseits nichts thun, als hier auszusprechen, daß wir in die
sachliche Prüfung eintreten wollen, daß wir uns aber nicht verhehlen können,
daß die Vorlage so viele schwerwiegende finanzielle Bedenken enthält, daß,
ob wir uns für die Vorlage erklären können, davon abhängt, daß die Kom-
missare der verbündeten Regierungen uns die nötigen Aufklärungen geben
und uns davon überzeugen, daß die Vorlage eine dringende Notwendigkeit
für die Wehrhaftigkeit und damit für die Sicherheit des Landes und auch
für die Erhaltung des Friedens ist.
Nun, meine Herren, dieser Umstand, daß eine so schwere finanzielle
Belastung durch die Vorlage herbeigeführt wird, ist das eine, was es uns
schwer macht, für die Vorlage einzutreten. Nun kommt aber für die kon-
servative Partei noch ein zweiter Umstand hinzu, der die Herren aus den