266 Frankreich. (April 2.—25.)
2. April. Einer der Urheber der Attentate in Paris, der
Anarchist Ravachol, legt beim Verhör volles Geständnis ab, er sagt:
Ich bin heute besiegt, und deshalb kann ich die Sachen erzählen,
wie sie sich zugetragen haben. Nur erwarten Sie von mir keine Reue.
Die heutige Gesellschaft ist völlig verfault, und in den Werkstätten, den
Bergwerken und auf den Feldern gibt es menschliche Wesen, die arbeiten
und leiden, ohne hoffen zu können, daß sie jemals den tausendsten Teil
ihrer Arbeit erwerben werden. Diese Unglücklichen haben Frauen, die vor
Hunger sterben, und Kinder, die sie aus Mangel an Brot nicht aufziehen können.
Neben diesem schrecklichen Elend sehen wir die fetten und gemästeten Bour-
geois ein Freudenleben führen und mit verächtlichem Lachen auf die Thränen
der Hungernden antworten. Ja, ich habe gestohlen und gemordet, ich ge-
stehe es zu. Ich habe mich auch an den Richtern rächen wollen, die meine
Brüder verurteilt haben. Ich habe aber aus diesen Handlungen sozialer
Gerechtigkeit, die Sie Verbrechen nennen, niemals einen persönlichen Vorteil
gezogen. Unsere Partei ist arm, die Genossen, die sie bilden, haben wenig
oder keine Mittel. Indem ich tötete und stahl, habe ich jahrelang die Kasse
der anarchistischen Gruppe in St. Etienne unterhalten. Ich habe Geld
gegeben, um unsere Blätter erscheinen zu lassen und ich habe vielen Ge-
nossen die Mittel gewährt, um gegen ihre Ausbeuter zu kämpfen. Ich bin
stolz auf das, was ich gethan habe, und ich übernehme dafür die volle
Verantwortlichkeit. Nur aus einem einzigen mache ich mir einen Vorwurf:
daß ich mich so dumm habe fassen lassen, während ich so ausgezeichnet aus-
gerüstet war, um das Werk der Vergeltung und Gerechtigkeit zu vollbringen,
dem ich mich geweiht habe.
II. April. Deputiertenkammer: Kolonialdebatte. Die Regie-
rung verteidigt den Standpunkt, daß Frankreich eine große Kolo-
nialpolitik betreiben müsse, während von anderer Seite wieder eine
ausschließliche „Revanchepolitik“ verlangt wird. Der Unterstaats-
sekretär für die Kolonien, Jamais, erklärt jedoch. daß Frankreich
für mehrere Jahre auf jegliche weitere kolonialen Eroberungen ver-
zichten müsse. Die Debatte schließt mit der Bewilligung der Kredit-
forderung von 3 Millionen Franks für Dahomey und einem Ver-
trauensvotum. Der Ministerpräsident Loubet spielt bei der erregten
Debatte eine sehr schwächliche Rolle.
Mitte April. Der Bischof von Mende, der Erzbischof von
Aix (Gouth--Soulard) und andere erlassen Hirtenbriefe, in denen
sie die Bürger bei den bevorstehenden Munizipalwahlen zur Wah-
rung der religiösen Interessen ermahnen.
25. April. (Paris.) Abends 9 Uhr 40 Minuten wird das
Restaurant Very in die Luft gesprengt, in dem der Attentäter
Ravachol verhaftet worden ist. Fünf Personen werden erheblich
verletzt. Der Restaurateur Very und noch ein anderer sterben
später an ihren Verletzungen. Der Kellner, dem das Attentat
eigentlich gegolten, bleibt unverletzt.