Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

Frantreich. (April 27.—Juni 8.) 267 
27. April. Ravachol, der sich in seinem Prozeß mit der 
äußersten Frechheit benimmt, erhält von den Geschworenen mil- 
dernde Umstände zugebilligt und wird infolge dessen nicht zum Tode 
verurteilt. 
1.—8. Mai. Gemeinderatswahlen. Bisher waren von den 
36,143 Gemeinderäten 20,772 ganz oder vorwiegend republikanisch, 
15,277 konservativ und 94 schwankend. Jetzt stehen die Ziffern so: 
23,524 Gemeinden mit republikanischer, 12,409 mit konservativer, 
215 mit unbestimmter Majorität. Die Republikaner gewinnen 
also 2752 Gemeinden und verfügen somit über zwei Dritteile der 
Gemeinwesen Frankreichs. 
5. Mai. Der Staatsrat erklärt die Hirtenbriefe der Bischöfe, 
betreffend die Wahlen, für einen Mißbrauch ihrer Amtsbefugnisse. 
6. Mai. Der Papst richtet ein Sendschreiben an die sechs 
französischen Kardinäle. Er wiederholt kurz die Hauptpunkte der 
letzten Enzyklika und tadelt energisch diejenigen Konservativen, 
welche, wenn auch im Glauben, der Religion zu dienen, auf Grund 
ihrer persönlichen Anschauung oder um politischer Parteizwecke willen 
die notwendige Einigkeit aller Katholiken stören und das öffentliche 
Wohl hintansetzen. Die Enzyklika dulde nicht zweierlei Deutung, 
ihr Sinn sei: Man müsse die Republik unbedingt, ohne Hinter- 
gedanken und mit vollkommenster Ehrlichkeit anerkennen und ihr 
als der von Gott gekommenen Staatsform unterthan sein. Eine 
Stelle des Sendschreibens spricht von den beklagenswerten Vor- 
fällen der jüngsten Zeit, womit auf die anarchistischen Attentate 
hingedeutet wird, und schildert diese als Folgen der Bestrebungen, 
welche auf die Entchristlichung Frankreichs gerichtet seien. Das 
Sendschreiben schließt mit einem Protest gegen die Freiheitsberau- 
bung, welche der päpstliche Stuhl in Italien erleiden müsse. 
1.—3. Juni. Aufenthalt des Königs von Schweden in Paris. 
5.—8. Juni. Studenten-Turnfest in Nancy. Alle Universi- 
täten sind geladen mit Ausnahme der deutschen. 
Der Bischof v. Verdun begrüßt den Präsidenten Carnot auf 
der Durchreise in Bar le Duc mit einer Rede: 
„Wir acceptieren offen und ehrlich ohne Hintergedanken die Re- 
gierungsform, deren Hüter Sie sind, und welche sich das Land freiwillig 
gegeben hat. In dieser Beziehung bitte ich Sie, an meine vollständige 
Aufrichtigkeit zu glauben. Unsere Haltung, meiner Ansicht nach falsch ver- 
standen, hat zu Mißverständnissen, Mißtrauen und Konflikten Veränlassung 
gegeben, welche bedauerliche Härten hervorgerufen haben. Ich beklage das 
und wünsche von ganzem Herzen, daß die Zwistigkeiten aufhören und einer
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.