Das Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 26.) 21
einem ungebildeten Autodidakten natürlich nicht möglich gewesen. (Heiter-
keit. Sehr gut!) Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, und wenn der ver-
ehrte Herr Abgeordnete es am Schluß für nötig gehalten hat, mit einer
kleinen Volte mir doch noch einen Hieb zu versetzen, indem er sagte: ja,
aber die Bestimmungen über den Lehrplan, die der Kultusminister in das
Gesetz gebracht hat, machen diese ganze an sich gute Empfindung, aus der
heraus er gearbeitet hat, völlig illusorisch, so hat der verehrte Herr Abge-
ordnete das Gesetz in diesem Punkte vielleicht doch etwas flüchtig gelesen.
Es steht in dem Gesetz auch nicht ein Wort, daß der Lehrplan der Privat-
schulen der Lehrplan der öffentlichen Schulen sein soll. Gerade dem, was
der Herr Abg. Richter hervorhob: zur Freiheit der Privatschulen gehört die
vollste Entwickelung der Individualität des Lernenden und derjenigen, welche
die Schule haben wollten, dem stimme ich durchaus bei. Aber sich selbst
einschränkend meinte er: die Lehrpläne müßten natürlich innerhalb gewisser
gesetzlicher Normen gehalten werden. Gerade das ist meine Ansicht; auch
ich stimme dem bei, und wenn ich am gestrigen Tage auf die ganz eminenten
Vorteile hingewiesen habe, welche die Entwickelung des öffentlichen Schul-
wesens überhaupt aus der Entwickelung der Privatschulen gezogen hat, und
wenn ich auf Leute wie August Hermann Franke und Pestalozzi hingewiesen
habe, so habe ich damit ganz genau charakterisiert, was ich unter Privat-
schulen verstehe.
Meine Herren, ein besonderer Abschnitt der Rede des Herrn Abg.
Richter, der mit besonderer Schärfe behandelt worden ist, betraf den § 17
des Gesetzes, welcher von der Regelung des Religionsunterrichts und der bis
zu einem gewissen Grade zwänglichen Teilnahme an demselben für Kinder
dissidentischer Eltern handelt. Ich bekenne, daß dieser Punkt bei der Be-
arbeitung des Gesetzes auch mir die allerschwersten Gewissensbedenken gemacht
hat; ich leugne das keinen Augenblick. Auch mir ist der Gedanke, dadurch
einen Dissensus zwischen Eltern und Schule hervorrufen zu können, außer-
ordentlich unsympathisch. Meine ganze Stellung in diesen Fragen, die Ihnen,
meine Herren, vielleicht viel näher steht, als Sie denken, und die durchaus
von der Ueberzeugung getragen ist, daß die großen Geisteskämpfe unserer
Zeit ausgefochten werden müssen auf freier Bahn und nicht gegängelt werden
können durch die staatliche Autorität — diese Auffassung hat es mir natür-
lich ganz außerordentlich schwer gemacht, meine Zustimmung zu dieser organi-
satorischen Frage zu geben. Aber, meine Herren, an der Spitze unseres ge-
samten Schulwesens steht der Satz: Der Religionsunterricht ist ein obliga-
torischer Gegenstand unseres gesamten Schulunterrichts überhaupt. Für
Kinder, welche keinen Religionsunterricht empfangen können — für diejenigen,
welche ihn empfangen können, ist in diesem Gesetz von Zwang keine Rede
— steht die Frage so: sollen wir diese Kinder aufwachsen lassen ohne jedes
Wort einer tieferen Erkenntnis, ohne jedes Wort ethischer und moraltheo-
logischer Natur, von dem Sie doch auch zugeben müssen, daß es in den Kon-
fessionen am besten zum Ausdruck kommt? Meine Herren, in dieser Auf-
fassung liegt die Grundverschiedenheit unserer ganzen Stellung zu dieser
Frage. (Sehr gutl rechts.) Wir, die wir diese Bestimmung haben wollen,
ich wenigstens, ich möchte auch nicht im geringsten damit einen Zwang aus-
üben, ich wie nur eine Wohlthat, die ich selbst empfangen habe, den un-
glücklichen Kindern geben, denen keine fromme Mutter die Hände gefaltet
hat, und die kein Wort der Wahrheit je in ihrem Familienleben hören.
(Lebhaftes Bravo rechts und im Zentrum.) Der Frage ist ja nicht vorge-
griffen worden, meine Herren, ob der § 17 den Dissidenten die eigene Aus-
übung des Religionsunterrichts gewährt. (Zwischenruf.) Verzeihen Sie! Im
Absatz 2 heißt es ausdrücklich, daß diejenigen Kinder, welche einen geord-