Die Rämische Kurie. (Ende Juni.) 283
Wie der Papst unfehlbarer Lehrer ist bezüglich dessen, was man in reli-
giöser Hinficht glauben, in moralischer thun muß, so ist er auch der ständige
Richter in Bezug auf das, was man thun oder lassen muß im öffentlichen
und Privatleben, damit das Wirken des Menschen und Bürgers nicht im
Widerspruch stehe mit der Wahrheit des katholischen Glaubens und der
Gerechtigkeit der christlichen Moral. Uebrigens muß jeder gute Katholik
wissen, daß der Papst in der Kirche und für die Katholiken nicht nur Lehrer,
sondern auch Souverain, Gesetzgeber und Richter ist. Erläßt er nun auf
politischem und bürgerlichem Gebiete Vorschriften oder Verbote, so thut er
das, weil auch dies unter seiner hohen Jurisdiktion und unter seiner
höchsten Autorität steht in allen den Beziehungen, welche er zu der offen-
barten Wahrheit und der evangelischen Moral hat oder haben kann. Es
ist zum mindesten verwegen, auch nur zu unterstellen, daß der Papst irgend-
vie aus den Grenzen seiner Autorität und seiner Macht heraustreten könne
oder wolle.“
Die „Kölnische Volkszeitung“ antwortet darauf:
Wir halten es geradezu für unsere Pflicht, den Uebertreibungen des
römischen Blattes entgegenzutreten. Schon vor vielen Jahren haben wir
die Auffassung vertreten, daß, wie nun einmal die Sachen lägen, die franzö-
sischen Katholiken wohlthun würden, sich auf den Boden der bestehenden
Staatsform zu stellen und von diesem Standpunkte aus der Entchristlichung
ihres Heimatlandes entgegenzutreten. Nach langer Ueberlegung hat der
heilige Vater nachdrücklich und wiederholt den Royalisten denselben Rat
erteilt; aber gewisse Leute in Rom und in Frankreich machen daraus einen
im Gewissen verpflichtenden Befehl. Mögen jene Blätter sich wohl über-
legen, was sie thun und sagen. Wandeln sie auf dieser Bahn weiter, so
könnten sie noch häufiger Antworten wie jene bekommen, welche ihnen im
vorigen Jahre Freiherr von Schorlemer-Alst in Düsseldorf und Graf
Ballestrem in Danzig erteilen. Es war gewiß kein Zufall, daß der „Osserv.
Romano“ damals plötzlich schwieg; möge er auch jetzt bald zur Erkenntnis
kommen oder — gebracht werden, daß es auch für ihn Grenzen gibt. Viel-
leicht trägt es zur Verständigung bei, wenn der „Osservatore“ sich die Vor-
gänge noch einmal vergegenwärtigt, die sich 1887 in der Septennats-An-
gelegenheit abgespielt haben. Die ehrerbietige Weigerung der Führer des
Zentrums, dem Rate des heiligen Vaters in einer politischen Angelegenheit
zu folgen, hat Leo XlIII. mit einem neuen Beweise der Wertschätzung und
des Vertrauens beantwortet. Das war eine große, weitherzige Politik;
möchte der „Osseevatore" sich dieselbe zum Muster nehmen und auf den
Versuch verzichten, bei Erörterung der Frage, welche Politik die französi-
schen Katholiken wohlthun würden zu verfolgen, gewissermaßen so nebenher
in einem Zeitungsartikel die schwierige Frage nach dem Umfange und den
Grenzen der päpstlichen Gewalt zu beantworten.
Ein zweiter Artikel des „Osservatore Romano“ lautet aber:
„Heute gibt es bezüglich der Unterwerfung unter den Papst keinen
Mittelweg: entweder man gehorcht ihm in allem, oder man gehorcht ihm
gar nichtt .. Legitimer Depositar und unfehlbarer Lehrer der Wahr-
heit ist der Papst; demgemäß beruht beim Papst die erste und ständige
Autorität, die religiöse und sittliche, wie die politische und die soziale."
Der „Osservatore“" macht sich diese Zuschrift vollständig zu eigen und spricht
dann von der „Pflicht und Treue des Gehorsams“ gegen die „göttliche,
übermenschliche und allgemeine Gewalt des Papstes, welcher das Haupt der
katholischen Kirche, der Lehrer und Führer der Menschen wie der- Völker
ist. Der Papst“, heißt es weiter, „ist Stellvertreter Jesu Christi, welcher