Tebersicht der politischen Eutwichelung des Jahres 1892. 329
hat nun der Papst persönlich eine Kundgebung nach der andern
erlassen, welche in der bestimmtesten Weise seinen Gläubigen die
Annahme der Republik anbefahl. Am 5. Januar schrieb er an
Erzbischof Richard von Paris, worauf die fünf Kardinal-Erzbischöfe
Frankreichs eine bedingte Erklärung zu Gunsten der Republik er-
ließen. Am 16. Februar richtete der Papst ein direktes Rund-
schreiben an alle französischen Katholiken, am 6. Mai von neuem
an die französischen Kardinäle: unbedingt, ohne Hintergedanken und
mit vollkommenster Ehrlichkeit müßten die Franzosen der Republik
als der von Gott verordneten Staatsform unterthan sein. Am 14.
und 22. Juni neue Schreiben an den Nuntius und den Bischof
von Grenoble, welche im Namen der Religion Gehorsam für die
vorhergehenden Anweisungen forderten. Die vatikanische Presse
unterstützte diese wiederholten Befehle durch den Hinweis auf die
Macht, die dem Papst nicht nur in geistlichen, sondern auch in
weltlichen Dingen von Gott verliehen sei, und ein Prediger in Paris
n einer vom Bischof approbierten Predigt setzte seinen Zuhörern
auseinander: „Als das römische Kaiserreich vor seinem Zufammen-
sturz stand, hielt die Kirche sich an die göttliche Seite ihrer Sen-
dung und ohne sich um die politische Frage zu kümmern, streckte
sie den Barbaren die Arme entgegen. Heute besteht eine neue
Kraft, darüber darf man sich nicht täuschen. Wie ehemals, als die
Barbaren über das römische Reich herfielen, erhebt sich jetzt diese
neue Kraft und fordert ihren Platz an der Sonne. Diese Kraft,
mit der man rechnen muß und der heutigen Gesittung das Leben
oder den Tod bringen muß, ist die Demokratie. Der unsterbliche
Papst Leo XIII. hat in einer glänzenden Enzyklika folgendermaßen
für die Demokratie Partei ergriffen: Er sagt den Bischöfen und
den Priestern: „Hier sind neue Barbaren; geht zu ihnen hin; ihr
werdet mit ihnen den Tempel der Zukunft gründen.“ Die Kirche
wird demokratisch werden, und darin wird sie den Lehren ihres
Vaters, ihres Gründers und des h. Paulus folgen.“ (Vgl. Frank-
reich 7. Februar.)
Dieses Eingreifen des Statthalters Christi hat die royalistische
Partei in Frankreich gesprengt. Ein Teil hat sich unterworfen und
eine konservativ-republikanische Gruppe gebildet, ein Teil, wie der