Mebersicht der politischen Entwichelung des Jahres 1892. 331
gesetzte Majorität dafür fand, dennoch nicht zu stande kam. Das
Zentrum unter Führung des Abgeordneten Windthorst widersetzte
sich und wußte von seiner ausschlaggebenden Stellung im Reichstag
her einen solchen Druck auf die Verhandlungen im preußischen
Abgeordnetenhause auszuüben, daß die Vorlage fallen gelassen
wurde. An die Stelle des Herrn v. Goßler trat (13. März 1891)
Graf Zedlitz und legte nunmehr einen neuen Gesetzentwurf vor
(15. Januar 1892), der mit Begeisterung nicht bloß vom Zentrum,
sondern auch von den Konservativen begrüßt wurde. Während
der Goßlersche Entwurf die Volksschulen zwar auch auf konfessio-
neller Grundlage aufbaute, im übrigen aber die Herrschaft des
Staates über die Schule in ihrem ganzen Umfang, über die Er-
ziehung und Disziplin der Lehrerschaft, wie über den Religions-
unterricht streng aufrecht erhielt, so räumte der neue Entwurf nun-
mehr der Kirche einen wesentlichen Einfluß ein, beschränkte die
Simultanschulen aufs äußerste und setzte eigene gewählte Schul-
vorstände aus den Hausvätern ein, von denen man annahm, daß
sie ebenfalls kirchlichen Einflüssen zugänglich sein würden. Der streng
kirchliche Charakter des Entwurfs sprach sich auch darin aus, daß
Dissidentenkinder, von denen nicht nachgewiesen wurde, daß sie einen
anderweitigen genügenden Religionsunterricht empfangen, zur Teil-
nahme an dem Religionsunterricht in der Volksschule verpflichtet
sein sollten. Bei dem Examen der Lehrer am Schluß ihres Seminar-
besuchs sollte ein kirchlicher Kommissar zugegen sein, um das
Zeugnis über die Befähigung zur Erteilung des Religionsunter-
richts zu bestätigen. Falls die kirchliche Behörde den Religions-
unterricht eines Lehrers nicht billigte, sollte sie berechtigt sein, zu
beantragen, daß dem Lehrer dieser Unterricht abgenommen werde.
Der Regierungspräsident sollte über einen solchen Antrag ent-
scheiden. Die Ernennung der Kreis= wie der Lokalschulinspektoren
war dagegen vollständig der Regierung vorbehalten. Und auf
Grund dieser letzten Bestimmungen glaubte Graf Zedlitz behaupten
zu können, daß der Schulhoheit des Staats durch den Entwurf
von keiner Stelle etwas vergeben werde. Daß die Volksschule im
Prinzip konfessionell sein müsse, werde jetzt von allen Seiten an-
erkannt; wenn in Konsequenz dieses Grundsatzes der Kirche eine