Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

Aebersicht der politischen Entwicheluns des Jahres 1892. 335 
werde und müsse. Die Furcht vor reinen Kirchenschulen, dazu die 
Besorgnis, daß etwa auch die Sozialdemokraten und Polen eigene 
Volksschulen errichten könnten, beraubte die Liberalen und mit ihnen 
viele Konservativen aller Besinnung, so daß, als nun die Petitionen 
gegen das Gesetz zu strömen anfingen, sie meist ganz wesentlich auch 
diesen Punkt hervorhoben. Aber auf den Inhalt der oppositionellen 
Gründe kam so sehr viel nicht an. Die Hauptsache war, daß wirklich 
eine große und allgemeine Bewegung in eben den Kreisen entstand, 
die seit Jahrzehnten die Hauptstütze der Regierung in ihrer ge- 
samten inneren Politik, namentlich auch in nationaler Beziehung 
gewesen waren, in den Kreisen des gebildeten Mittelstandes. In der 
Regierung selbst war diese Anschauung stark vertreten. Man erfuhr, 
daß die Zedlitzsche Schulvorlage im Staatsministerium selbst nur mit 
einer Stimme Majorität angenommen worden sei, und namentlich 
der Finanzminister Miquel als alter Führer der nationalliberalen 
Partei konnte sich mit ihr nicht befreunden. Wenige Tage nach 
der Einbringung erkannte er, welchen Eindruck sie in der öffent- 
lichen Meinnng machen und daß das Staatsministerium solidarisch 
dafür verantwortlich gemacht werden werde, und reichte sein Ab- 
schiedsgesuch ein. Mehrere Wochen zögerte sich die Entscheidung 
hin. Graf Zedlitz behauptete ja, daß seine Vorlage gar nicht die 
Eigenschaften hätte, welche ihr von den Gegnern zugeschrieben würde. 
Auch sei er gerne zu Konzessionen bereit. Aber der richtige Aus- 
weg wurde nicht gefunden. Völlig aufgeklärt ist der Zusammen- 
hang nicht. Die Verhandlungen in der Kommission des Abge- 
ordnetenhauses nahmen zunächst den Verlauf, daß die Konservativen 
die Mittelparteien bei Seite schoben und sich ausschließlich mit dem 
Zentrum. mit dem sie die Majorität hatten, verständigten. So 
kam es, daß die Freikonservativen, Nationalliberalen und Frei- 
sinnigen zusammengingen und sogar ein gemeinsames Programm 
aufstellten (s. C. März). Wäre man auf diesem Wege fortgegangen, 
so hätte sich am Ende ein entschieden konservativ-klerikales Gesetz 
ergeben müssen. Aber es ist mit großer Bestimmtheit behauptet 
worden, daß das keineswegs die Absicht gewesen sei, sondern daß 
die Konservativen in der ersten Lesung mit dem Zentrum nur zu- 
sammengegangen seien, um von der so gewonnenen Position aus,
	        
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