38 Das Denische Reihh und seine einzelnen Glieder. (Januar 28.)
die ich selbst empfangen habe, den unglücklichen Kindern geben, denen keine
fromme Mutter die Hände gefaltet hat und die kein Wort der Wahrheit
je in ihrem Familienleben hören.
Diese sehr schönen und mit der ganzen Kraft der rhetorischen Be—
fähigung des neuen Herrn Kultusministers vorgetragenen Worte haben
einen großen Beifall in Ihren Reihen entfesselt, und wenn ich von der
Voraussetzung ausginge, daß von den Kindern der Dissidenten keines eine
Mutter hat, welche das Gebet lehrt, dann würde ich das alles unterschreiben.
Aber, meine Herren, wie kommt man denn dazu, hier die Dissidenten in
einer Weise darzustellen, also diejenigen, welche sich nicht an eine bestehende
Landeskirche angeschlossen haben, als wenn das alles gottlose, verruchte und
böswillige Menschen wären, denen man gewissermaßen ihre Kinder in
Zwangserziehung abzunehmen hätte. Ich wohne im Wupperthal, im ber-
gischen Lande. Die Bevölkerung dort ist eine von tief religiösem Sinne
durchdrungene und in ihrer Ausübung werkthätiger Liebe in ganz Deutsch-
land bekannte. Nirgends finden Sie mehr Dissidenten als bei uns, und
das ist nicht der Ausfluß von Verachtung der Religion, sondern das gerade
Gegenteil. Meist sind die Dissidenten sehr ernste, brave fromme Leute mit
ernstem, frommem Familienleben, deren Kinder vielfach sehr viel besser
beten lernen, als die Kinder von denen, die an strenge Dogmen sich halten.
Wenn Sie diese Dissidenten so behandeln wollen, daß das Heil nur im
Anschluß an Landeskirchen zu finden ist, dann müßten Sie in England eine
Hälfte der Bevölkerung, die der Staatskirche sich nicht angeschlossen hat,
in den Staatsreligionsunterricht führen. Wer weiß, vielleicht wird man
bei uns einmal mit Tausenden von Dissidenten zu rechnen haben. Tausende
und Hunderttausende würden möglicherweise zu dem Entschluß kommen,
aus der Landeskirche auszutreten, wenn diejenigen Maßregeln befolgt werden,
die hier in diesem Gesetz und in der ganzen Richtung des Herrn Stöcker
in der Kirche zu Tage treten. Wenn Herr Stöcker mit seiner unduldsamen
Thätigkeit, in seinen Bestrebungen nach hierarchischer Gliederung der pro-
testantischen Kirche weiteren Erfolg hat, dann wird das Dissidententum,
das Ausscheiden aus der Landeskirche wahrscheinlich noch sehr lebhaft in
unserem Lande werden.
Der Herr Kultusminister Graf v. Zedlitz sagt also, ich kodifiziere
ja nur das Bestehende. Nun hat aber der Abgeordnete Richter schon ge-
sagt, daß man ziemlich für jede Rechtsansicht ein Reskript im Kultus-
ministerium vorfinden könne, und der Herr Kultusminister war sehr erregt,
als er den Angriff des Abgeordneten Richter auf die Räte seines Mini-
steriums abwies. Meine Herren, die Formen des Abgeordneten Richter sind
nicht die meinigen (Heiterkeit rechts), aber ich muß gestehen, in etwas
war man doch im preußischen Staate zu einer solchen Frage berechtigt.
(Sehr richtig! links).
Seitdem wir kein Oberschulkollegium in Preußen mehr haben, welches
ja doch im Jahre 1787 durch den damaligen Minister von Zedlitz-Leipe
(vielleicht von einem Vorfahren des jetzigen Herrn Kultusministers) eingerichtet
war, welches die Kontinuität, die Gleichförmigkeit der Gesetzgebung und ihrer
Durchführung auf dem Schulgebiete zu überwachen und zu leiten hatte,
seitdem haben wir uns wenigstens daran gewöhnt, in der ersten und zweiten
Abteilung des Kultusministeriums für Unterrichtswesen, in den Provinzial-
schulkollegien und in den Abteilungen für Kirchen= und Schulwesen bei den
Regierungen eine gewisse Stetigkeit in Ausübung des ganzen Volksschul-
wesens und des höheren Unterrichtswesens zu finden. Die Räte in diesen
Abteilungen, namentlich die Räte im Kultusministerium haben wir immer
noch betrachtet als Träger der guten Traditionen des preußischen Staats-