Das Ventsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 28.) 51
sogenannten Verwaltungspraxis ist auch von dem Herrn Abgeordneten
wiederholt bemängelt worden. Nun, daß ich die Verfassung nicht als Offen-
barung behandele und nicht bibelgläubig in Bezug auf die Verfassung bin
— das waren die Ausdrücke des Herrn Abgeordneten v. Eynern —, das
werden mir die meisten von Ihnen selbst aus der eigenen Partei des Herrn
v. Eynern zugeben. Solche Uebertreibungen haben noch niemals weder
einem Redner, noch einer Partei genützt. Ja, ich kann doch nur so auf-
fassen, wie ich es gehört habe. (Sehr richtig! im Zentrum. Zwischenruf.)
— Das ist ja gleichgiltig, aber das habe ich aus dieser Bezugnahme jeden-
falls doch herausgehört, daß der Herr Abgeordnete v. Eynern mit einer
ganz außerordentlichen Leichtigkeit über das Grundgesetz unseres ganzen
preußischen Staates urteilt. Ich muß gestehen: ich bin auch kein Rechts-
gelehrter, aber ich habe eine außerordentliche Achtung und Schen vor der
Heiligkeit der Gesetze und vor allen Dingen vor der Heiligkeit unserer
rundverfassung, und ich würde es mir zehnmal überlegen, zehnmal mit
meinem Gewissen zu Rate gehen, ehe ich überhaupt den Gedanken faßte, an
dieser Grundlage unserer ganzen gesetzlichen Existenz zu rühren.
Dann, meine Herren, gestatten Sie mir, mich nun zu dem positiven
Teile der Rede des Herrn v. Eynern zu wenden. Derselbe mußte ja natur-
gemäß viel schwächer ausfallen, als der negative.
Das ist selbstverständlich: wenn man wesentlich kritisch angelegt ist,
ist man meist nicht sehr geeignet, aufzubauen. Der Herr Abgeordnete hat
da zunächst gesagt, wir wollen die Selbständigkeit des Lehrertums aus-
bilden. Meine Herren, ich will auch einen selbständigen Lehrer, und ich
glaube: so lange ich die Ehre habe, an dieser Stelle zu stehen, haben sich
die Lehrer des preußischen Staates — weder die Volksschullehrer noch die
Lehrer an höheren Unterrichtsanstalten — darüber zu beklagen, daß ich sie
nicht in allen Beziehungen vertreten hätte.
Mir liegt jede Reglementierung fern; ich will sie unter keinen Kon-
dominat stellen, aber ich wünsche, daß die Lehrer selbständige Personen sind,
ich gehe so weit — die Verfügungen werden natürlich nicht bekannt, die
etwa nach der anderen Seite unbequem werden könnten —, daß ich mich selbst
berichtige, wenn ich zu der Ueberzeugung komme, daß ich mich geirrt habe.
Meine Herren, der Herr Abgeordnete Knörcke — ich glaube, er war
es — hat im vorigen Jahre an mich einen scharfen Angriff gerichtet, weil
ich den Lehrern nicht eine Verlängerung der Pfingstferien behufs Besuches
der Lehrerversammlungen gewährt hätte. Ich habe damals gesagt: nach meiner
Auffassung müsse sich doch in der Zeit der Sommerferien ein gemeinsam
benutzbarer Zeitpunkt finden lassen, zu welchem die Herren diese Versamm-
lungen besuchen könnten. Ich habe das geprüft; ich habe mich überzeugt,
daß das nicht der Fall ist, weil die Interessen von Stadt und Land und
von den verschiedenen Provinzen sich zu sehr gegenüberstehen. Infolgedessen
habe ich ganz einfach jetzt verfügt: die Pfingstferien werden um zwei Tage
verlängert. Die Lehrer bekommen dadurch die Möglichkeit, jene Versamm-
lungen zu besuchen. Sie sehen, ich fürchte mich vor der weitesten Diskus-
sion des Lehrerstandes über ihre eigenen Dinge und über das, was ich
thue, nicht.
Dann hat der Herr Abgeordnete v. Eynern nun auch in derselben
abfälligen Weise meine Verwaltungsorganisation kritisiert. Ja, ob es ge-
rade sehr glücklich war, dem Herrn Abgeordneten Richter zu folgen und
den Regierungspräsidenten als den Mittelpunkt der künftigen Schulverwal--
tung zu schildern, lasse ich dahingestellt; denn für diejenigen Herren, welche
den Gesetzentwurf gelesen haben, kann es doch keinem Zweifel unterliegen,
daß davon auch nicht die Spur richtig ist.
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