Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

Das Dentsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 28.) 53 
sind denn Grundlehren des Christentums? Darüber ist ja eben der Streit. 
Wir sind der Meinung, daß diese Grundlehren des Christentums den Kin- 
dern nur in den Formen beigebracht werden können, wie sie Katechismus 
und Christenlehre geben. Sie nicht? (Abgeordneter Dr. Enneccerus: Ich 
habe mich doch über alle diese Dinge genau ausgesprochen!) Ja, ich weiß 
wirklich nicht — ich vermute, daß auch den übrigen Herren im Hause der 
Eindruck der Rede des Herrn Abgeordneten Enneccerus nicht so lebhaft ge- 
wesen ist, daß nun jede Erörterung über entgegenstehende Ueberzeugungen 
unmöglich gemacht worden sei. 
.Meine Herren, wenn man so steht, wie der Herr Abgeordnete v. Eynern, 
so sollte man nicht so scharf in der Beurteilung derjenigen Leute sein, die 
mit mir auf anderer Seite stehen. Man muß uns nicht Pietismus und Un- 
duldsamkeit vorwerfen. Ich glaube, das ist nicht günstig und nicht ver- 
mittelnd, und ich glaube auch nicht, daß es zweckmäßig ist, an Zeiten zu 
erinnern, in denen gerade diese Gegensätze zu den allerschroffsten Spaltungen 
im Staatsleben geführt haben. Praktisch werden wir uns über alle diese 
Fragen nach meiner Auffassung ganz leicht verständigen. In der Praxis 
existieren sie gar nicht, aber sobald wir sie prinzipiell erörtern, kommen wir 
zu solchen Gegensätzen, wie wir sie heute gehört haben. 
Der Herr Abgeordnete v. Eynern hat dann in einer Schlußbemerkung 
mich an die Traditionen meiner Familie aus einer vorhundertjährigen Zeit, 
aus der friederizianischen Periode erinnert. Meine Herren, Sie können sich 
denken, daß jemand wie ich eine lebhafte Empfindung dafür hat, daß das, 
was im Laufe der Jahrhunderte geschehen ist — wie eine Familie sich er- 
halten, was sie durchgemacht hat, wie sie auch im öffentlichen Leben seit 
Jahrhunderten gestanden hat, herabtröpfelt auf den Epigonen. Wir, die 
Zedlitz in Schlesien, sind diejenigen gewesen, welche in einer ganz besonderen 
Treue zu dem protestantischen und evangelischen Bekenntnisse allezeit ge- 
standen haben. Es war ein Zedlitz, der als der Freund Melanchthons die 
erste evangelische Kirche in Schlesien erbaut hat, und ich glaube, es gibt 
viele Kirchen und Schulen auch in Schlesien, die dieser Familie ihre Für- 
sorge bis auf den heutigen Tag verdanken. Es ist nicht leicht, dem Nach- 
kommen und dem Sproß einer solchen Familie ununterbrochen ins Gesicht 
zu schleudern: Du bist nichts weiter als ein Beratener — Beratener des 
Zentrums, des Bischofs, des Herrn v. Huene und anderer Leute! Ich scheue- 
mich gar nicht, das auszusprechen: ich schätze auch in meinem katholischen 
Mitbürger, wenn er voll auf dem Boden seiner Ueberzeugung steht, den 
Mann in jeder Beziehung, ich nehme gern auch von ihm Rat an, ich nehme 
ihn auch gern an von dem, der auf der ganz entgegengesetzten Seite steht; 
aber ich ermächtigte niemand, mir deswegen nachzusagen, daß ich nichts 
weiter als der abhängige Nachbeter entgegengesetzter Auffassungen sei. — 
In der Sache haben Sie das gesagt. 
Meine Herren, beim Beginn des Eintritts in diese Beratung sind 
von den verschiedensten Seiten Wünsche nach Abänderung des Gesetzes an 
mich herangetreten, ich kann versichern: von allen Seiten dieses Hauses. 
Ich habe darüber mit den Herren in der freundschaftlichsten und offensten 
Weise gesprochen, habe gebeten, die Generaldiskussion nicht durch eine zu 
scharfe Zuspitzung der Gegensätze zu verschärfen, habe meinerseits öffentlich 
und privatim wiederholt erklärt, daß ich bei einer ganzen Reihe von Fragen 
durchaus bereit wäre, mit mir reden zu lassen, daß ich bereit wäre, mich 
auch überzeugen zu lassen. Wenn nun trotz dessen ununterbrochen von dieser 
(links) Seite in der allerschärfsten Weise gegen das Prinzip gearbeitet wird, 
dann, bitte ich, nehmen Sie mir es nicht übel, wenn ich selbst sage: dann 
beseitigen Sie jede Hoffnung auf eine Verständigung.
	        
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