56 Das Dentsche Reiqh und seine einzelnen Glieder. (Januar 29.)
habe, daß, sofern Sie nicht noch in den Nachklängen aus älteren Zeiten
lebten, Sie sich wohl mit uns über dieselbe würden einigen können? Sie
würden auch diese Vorlage annehmen können, die die Regierung jetzt hier
vertritt. Warum sollten wir Ihnen eine Kriegserklärung machen?
Ist aber der Kriegszustand eingetreten, so ist er eben, so glaube ich,
von anderer Seite erklärt worden. Zu meinem aufrichtigen Bedauern habe
ich seit langer Zeit gerade in der Presse der Partei, der Herr v. Eynern
angehört, wiederholt Angriffe gegen die gegenwärtige Regierung lesen
müssen, Angriffe, aus denen ich nicht belehrt wurde, nach denen ich aber
annehmen mußte: daß doch eine mehr oder weniger feindliche Stimmung
vorhanden sei. Selbst wenn man uns lobte, so kam das Lob doch immer
mit einem Fragezeichen, mit einem einschränkenden Nachsatze zu Tage; im
Grunde wollte man nichts Rechtes von uns wissen. Ich habe mich seit
Langem gefragt und bin der Frage am meisten nahe getreten, als ein ge-
wisses größeres Blatt einen Neujahrsartikel brachte, der ja in weiten Kreisen
mit Befremden gelesen worden ist: Wo will diese Partei hin? Ich sah es
nicht, ich war nicht im stande, es zu erkennen. Es betrübte mich die
Haltung, aber ich fand keine Motive dafür. Jetzt, nachdem neulich die
große liberale Partei proklamiert oder wenigstens in ihren Anfängen der
Welt kundgegeben worden ist, da kann ich mir manches eher erklären. Ich
glaube, ich sehe jetzt klarer. Ich bin überrascht worden durch diese neue
Partei. Ein Abgeordneter von jener Seite (rechts) hat gestern gemeint, er
habe das lange kommen sehen. Ich habe diese Voraussicht nicht gehabt.
Ich will an sich gar nicht sagen, daß, wenn die nationalliberale Partei
sich durch Hinzuziehung eines Teils von Abgeordneten von der anderen
Seite verstärkt, daß mir das unerwünscht gewesen sein würde; nur die Art
und Weise, wie diese Parteibildung zu stande kommt und wie jetzt die
Herren Redner der nationalliberalen Partei, von der bestechenden Rede des
Herrn Hobrecht an bis zur Kampfesrede des Herrn v. Eynern, aufgetreten
sind, das hat mir die Ueberzeugung gegeben, daß eben der Kampf gewollt
wird, daß die Kriegserklärung gegeben werden soll. Ja, wollen Sie das
nicht, so sprechen Sie es aus, Sie würden mir damit herzliche Freude
machen. Die gegenwärtige Regierung thut alles Mögliche, nur sucht sie
keinen Kampf. Ich bin weit entfernt davon, die Verdienste der national-
liberalen Partei und die Verdienste des Mannes, der ihr Führer auf einer
anderen Stelle ist, zu verkennen. Es ist mir vollkommen klar, daß, wie an
einer anderen Stelle neulich gesagt wurde, mein genialer Amtsvorgänger
dieser Partei bedurft hat, um Deutschland zu machen. Das erkenne ich
vollkommen an. Mir ist nur fraglich, ob die Partei auf dem Standpunkt,
den sie jetzt einnimmt, weiter zu beharren gewillt ist, ob fie es können wird.
Zwei Dinge machen das Wesen der Partei aus: das Nationale und das
Liberale. Ich möchte glauben, daß national zu sein jetzt nicht mehr ein
charakteristisches Kennzeichen einer Partei ist. National ist, Gott sei Dank,
ganz Deutschland. Also auf diese Eigenschaft hin kann man Parteiunter-
schiede nicht mehr gründen. Wenn die Partei weiter existieren will in der
Weise, wie sie bisher existiert hat, so muß sie nach meinem Dafürhalten
den Liberalismus mehr betonen, als sie es gethan hat, und ich lege mir
auf diese Weise die Erscheinungen zurecht, die in den letzten Tagen hier vor uns
getreten sind. Der nationalliberale Redner der Partei hat — und darin
fand er sich mit dem der freisinnigen Partei zusammen — die hypothetische
Besorgnis ausgesprochen, die jetzige Regierung könne doch geneigt sein, dem
Zentrum weitere Konzessionen zu machen. Ja. es überrascht mich; wir sind
mit der nationalliberalen Partei, seit ich die Ehre habe, hier zu stehen,
durch viele Vorlagen gemeinsam durchgegangen. Jetzt scheint es zur Zeit