70 HDas Peutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 15.)
gionsunterrichts durch den Geistlichen, ohne daß derselbe der Schule als
Lehrer angehört, zu den ernstesten Bedenken Anlaß. 6) Der im Entwurf
vorgesehene event. Zwang dissitentischer Kinder zur Teilnahme am Religions-=
unterricht widerspricht der bisher gesetzlich gewährleisteten Freiheit des reli-
giösen Bekenntnisses und ist außerdem von keiner praktischen Bedeutung, da
der Einfluß der Schule jedenfalls durch den häuslichen Einfluß paralgysiert,
und nur Erbitterung in den beteiligten Kreisen erregt werden würde."
15. Februar. (Reichstag.) Die Budgetkommission beantragt,
die verbündeten Regierungen zu ersuchen:
1. die Militärstrafprozeßordnung baldigst einer Reform, na-
mentlich in der Richtung einer größeren Oeffentlichkeit des Verfahrens zu
unterwerfen,
2. die Bestimmungen über das Beschwerderecht der Militärpersonen,
namentlich in der Richtung einer Erleichterung dieses Beschwerderechts, einer
Revision zu unterziehen,
3. auf die Pflege religiösen Sinnes unter den Angehörigen des Heeres
sowie im gesamten Volksleben, insbesondere bei der Erziehung der Jugend
thunlichst hinzuwirken.
Statt dessen beantragen die Abgg. Buhl (nat.-lib.) und
Richter (freif.):
„Im Interesse der größeren Sicherstellung einer angemessenen Be-
Fandlung der Soldaten durch ihre Vorgesetzten erscheint es dringend er-
orderlich,
1. die Bestimmungen über das Beschwerderecht der Militärpersonen
einer Revision zu unterziehen und insbesondere mißhandelte Soldaten zur
Erhebung der Beschwerde zu verpflichten;
2. bei der in Aussicht genommenen Reform der Militärgerichtsver-
fassung und der Militärstrafprozeßordnung die Grundsätze der Ständigkeit
und Selbständigkeit der Gerichte, sowie der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit
des Hauptverfahrens, wie sie sich im Königreich Bayern bewährt haben, zur
Geltung zu bringen."“
Abg. Frhr. v. Gagern (Zentr.) beantragt in der Ziff. 1 des
Kommissionsantrages einzuschalten: „zum Zwecke einer angemessenen
Behandlung der Soldaten“, und am Schluß der Ziffer hinzuzu-
fügen; „unbeschadet der in Bayern bereits bestehenden Regelung“.
Der Reichskanzler äußert in der Diskussion:
In allen deutschen Staaten, so gut in Preußen, in Sachsen wie in
Bayern, herrscht das Bestreben der Vorgesetzten, und es wird mit allem
Ernst danach getrachtet, diese Fälle aus der Welt zu schaffen.
Nun habe ich doch fragen müssen: wie kommt es, daß in dem An-
trag Buhl-Richter von einem Teil der Unterzeichner diesen Fragen gegen-
über eine schroffere Stellung eingenommen wird, als das bisher der Fall
gewesen zu sein scheint? Ich habe den letzten Antrag, der noch im November
des vorigen Jahres von den Abgeordneten von Marquardsen, oon Cuny und
Schneider eingereicht ist, vor mir; der ist milder in der Form und schließt
mit dem Satze: es sollte dies alles geschehen, „soweit nicht besondere mili-
tärdienstliche Interessen Ausnahmen notwendig erscheinen lassen“. Dieser
Satz fällt hier fort; und wenn ich mich nun zu dem Inhalte der Inter-
pellation oder zu der Form der Interpellation selbst wende, so muß ich
sagen: sie hat eine in hohem Grade schroffe Form angenommen. Ich kann