Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

82 Das Deuische Reich und seine einzelnen Glieder. (März 29.) 
Ich nehme keinen Anstand zu erklären, daß ich persönlich auf dem 
Boden des positiven christlichen Bekenntnisses stehe. (Bravol) Meine Herren, 
es gehört nicht zu meinen Gepflogenheiten, diese meine persönliche religiöse 
Stellung anderen Leuten ohne Not aufzudrängen. Ich habe aber auch keine 
Veranlassung, mich dieser zu schämen. (Bravol) Ich schäme mich des Bekennt- 
nisses zum Evangelium nicht (Bravol) und, meine Herren, ich thue das um 
so weniger, als ich tief davon durchdrungen bin, daß die Annahme, daß mit 
dieser persönlichen Stellung zum Bekenntnisse Unduldsamkeit, Engherzigkeit, 
Fanatismus verbunden sein müsse, unberechtigt ist. (Bravol) Ich darf ver- 
sichern, bei mir ist diese Annahme nicht zutreffend. Im Gegenteil, ich sehe 
gerade in dieser Stellung zum Bekenntnisse die Gewähr für die innerliche 
Freiheit und für den unbefangenen Blick, der notwendig ist, um auch in 
Zukunft die Unterrichtsverwaltung in Preußen auf dem Boden der Parität 
mit Gerechtigkeit und Wohlwollen zu führen, so wie es durch die Ver- 
fassung gewährleistet und durch unsere Traditionen festgestellt ist. Lebhaftes 
Bravol) 
29. März. Bei der dritten Lesung des Etats wird die 
Kreuzer-Korvette K mit 177 gegen 109 Stimmen abgelehnt 
(vgl. 1. März). 
29. März. (Reichstag.) Der Antrag Menzer auf Vorlegung 
eines Gesetzentwurfs, wonach der Zoll für Tabakblätter und -Stengel 
von 85 auf 125 Mark erhöht werden soll, wird mit 66 gegen 205 
Stimmen abgelehnt. 
29. März. Das „Konservative Wochenblatt“ schreibt: 
„Es ist ebenso tendenziös, von einer Kapitulierung der Regierung 
vor dem Volkswillen oder vor dem Liberalismus zu sprechen. Wünscht 
man nun einmal eine epigrammatische Zuspitzung, so wäre allein zutreffend, 
zu sagen, daß die Krone es abgelehnt hat, sich von einem Minister zu Dingen 
ins Schlepptau nehmen zu lassen, welche sie diesem ihrem Diener bestimmt als 
nicht in ihrem Willen bezeichnet hat.“ Und weiter heißt es dort: „Der 
Kaiser ist nicht vor dem Liberalismus zurückgewichen, er hat es nur abge- 
lehnt, sich vor seinem Minister zu beugen und diesem frei zu geben, seine 
eigene und nicht des Königs Politik zu treiben. Der Kaiser hat sich zu 
einem Eingriff entschlossen, als sich herausstellte, daß sein dem Kultusminister 
vollkommen bekannter Wille betreffs des allgemeinen Kurses, den seine Politik 
auch hinsichtlich des Wunsches, bei bestimmten Parteien Unterstützung zu 
fuden innehalten will, nicht eine in Thaten sich dokumentierende Beach- 
tung fand." 
Infolge dieses Artikels entspinnt sich ein Konflikt zwischen 
der „Kreuzzeitung“" und Herrn v. Helldorff. Letzterer erklärt 
(4. April): 
„daß das „Konservative Wochenblatt,, unter meiner Oberleitung ge- 
schrieben wird, und daß ich diese Oberleitung auch weiter ausüben werde." 
Er appelliert an den „besonnenen, gedankenklaren Konserva- 
tismus, der nicht darauf ausgehe, „die deutschsozialen, halb sozial- 
demokratischen Geister aus der Tiefe zu holen“ und verlangt eine 
„reinliche Scheidung“. Während die Gegner Herrn v. Helldorff
	        
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