Das Denisqthe Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. Mitte—16.) 151
Mitte November. (Berlin.) Bei den Wahlen zur Stadt-
verordneten -Versammlung verliert die Bürger-Partei (konser-
vativ-antisemitisch) alle ihre Sitze bis auf einen. Die Sozial-
demokraten gewinnen mehrere Mandate.
16. November. Der Reichstag wird von dem Kaiser mit
nachstehender Thronrede eröffnet:
„Geehrte Herren:
Als Ich Sie im Juli d. J. um Mich versammelt hatte, gab Ich
dem Vertrauen Ausdruck, daß Sie Mir und Meinen hohen Verbündeten
Ihre Mitwirkung zu der im Interesse der Sicherheit des Reichs gebotenen
Forlbildung unserer Heereseinrichtungen nicht versagen würden. Ich freue
Mich, daß Meine Zuversicht nicht getäuscht worden ist, und indem Ich Sie
heute bei Ihrem Zusammentritt begrüße, ist es Mir Bedürfnis, dem Reichs-
tag für seine patriotische Bereitwilligkeit Meinen kaiserlichen Dank auszu-
sprechen. Die mannigfachen Beweise warmer Sympathie, deren Ich Mich
während der letzten Monate in den verschiedenen Teilen des Reichs zu er-
freuen gehabt habe, sind Mir eine Bürgschaft dafür, mit welcher Genug-
thuung die Nation es empfindet, daß dem deutschen Heere eine Organisation
gesichert worden ist, in welcher die Gewähr für den Schutz des Vaterlandes
und für die Erhaltung des Friedens beruht.
Es wird nunmehr Ihre vornehmste Aufgabe sein, in gemeinsamer
Arbeit mit den verbündeten Regierungen für die Beschaffung der Mittel
Sorge zu tragen, welche zur Deckung des durch die erhöhte Friedenspräsenz-
stärke des Heeres entstandenen Mehrbedarfs erforderlich sind. Die Vor-
schläge, welche Ihnen in dieser Beziehung zugehen werden, bewegen sich auf
einer breiten, zugleich die finanziellen Beziehungen des Reichs zu seinen
Gliedern neu regelnden Grundlage.
Die Finanzverwaltung des Reichs hat eine endgültige Ordnung im
Sinne der Reichsverfassung noch nicht gefunden. Die bisherigen Erfahrungen
haben bewiesen, daß ohne Schädigung des Reichs und der Einzelstaaten eine
Auseinandersetzung zwischen denselben nicht länger hinausgeschoben werden
kann. Das Finanzwesen des Reichs wird dergestalt aufzubauen sein, daß
unter Beseitigung der bisherigen Schwankungen die Anforderungen des-
selben an die Einzelstaaten in ein festes Verhältnis zu den Ueberweisungen
gestellt werden, und ein gesetzlich Mesgelegter Anteil an den eigenen Ein-
nahmen des Reichs für einen vorher bestimmten längeren Zeitraum den
Einzelstaaten zugesichert wird. Eine solche Ordnung wird im Einklang mit
der föderativen Gestaltung unseres Staatswesens ein ungestörtes Zusammen-
wirken des Reichs und der Einzelstaaten gewährleisten und ohne Schmälerung
der Rechte des Reichstags die Finanzverwaltung in hohem Grade fördern.
Zu diesem Behuf wird dem Reichstag ein Gesetzentwurf, betreffend die
anderweite Ordnung des Finanzwesens des Reichs, vorgelegt werden.
Zur Beschaffung der hiernach erforderlichen Mittel werden dem Reichs-
tag Gesetzentwürfe, betreffend die Besteuerung des Tabaks und Weins, sowie
die Erhebung von Reichsstempelabgaben zugehen.
Ich zweifle nicht, daß die Lösung dieser bedeutsamen Aufgabe Ihrer
hingebenden Mitwirkung gelingen wird.
Unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Finanzlage des Reichs ist
der Reichshaushalt mit äußerster Sparsamkeit aufgestellt.
Die beim Abschlusse der Handelsverträge des Reiches mit Oesterreich-
Ungarn, Italien, Belgien und der Schweiz gehegte Erwartung, daß die