168 HNes NVerische Reich und seine einzelnen Glieder. (Dez. 20.—22.)
lautet gegen Dubois auf 6 Jahre, gegen Daguet auf 4 Jahre
Festungshaft.
20. Dezember. Die „Kreuz-Zeitung“ schreibt:
„Das Vorgehen des Reichskanzlers Grafen Caprivi gegen die Konser-
vativen hat eine unüberbrückbare Kluft zwischen ihm und den Konservativen
geschaffen. Die Entstehung dieser Kluft reicht weiter zurück; die Aus-
führungen, mit denen der Herr Reichskanzler das Tivoli-Programm der
Konservativen aufnahm, ließ in konservativen Kreisen die Auffassung reifen,
daß die Partei leider nicht in der Lage sein werde, mit dem leitenden Staats-
manne eine fruchtbare Politik fortzuführen. Wie berechtigt diese Auffassung
war, das haben die Vorgänge der letzten Zeit klar erwiesen. Das Tafel-
tuch zwischen dem Reichskanzler und den Konservativen ist von ersterem
zerschnitten. Hierüber darf kein Zweifel bestehen.
Hieraus ergibt sich als notwendige Konsequenz, daß die Konservativen
zu dem leitenden Staatsmanne kein Vertrauen mehr haben.
Das konservative Interesse fällt mit den Lebensinteressen des Staats
zusammen, deshalb existieren für uns keine Parteiinteressen, und darum ist
der Vorwurf der Demagogie bedeutungslos. Dieser Vorwurf kann nur
hervorgehen aus einer Auffassung, die von der konservativen grundver-
schieden ist.“
22. Dezember. (Preußen.) Der Minister des Innern richtet
an sämtliche Regierungspräsidenten einen Erlaß, der im „Staats-
anzeiger“ veröffentlicht wird. Er lautet:
„In dem allerhöchsten Erlaß vom 4. Januar 1882 sind die Grund-
sätze angegeben, welche den königlichen Beamten für ihr politisches Verhalten
nicht nur bei den Wahlen, sondern unter allen Verhältnissen zur Richt-
schnur zu dienen haben. Die politischen Gegensätze und Kämpfe der Gegen-
wart, namentlich auf wirtschaftlichem Gebiet, geben mir Veranlassung, diesen
allerhöchsten Erlaß in Erinnerung zu bringen und seine Beachtung wieder-
holt zur Pflicht zu machen.
Euer Hochwohlgeboren ersuche ich ergebenst, die Ihnen unterstellten
Beamten hierauf hinzuweisen."“
22. Dezember. Das christlich-konservative „Volk“ schreibt:
„Der derzeitigen Reichsregierung ist in diesem Punkte alles zuzu-
trauen, denn ihr ist nicht mehr das Wohl des Vaterlandes oberste Richt-
schnur, sondern der „höhere Wille", wie es Herr v. Caprivi in rührender
Offenheit bei einem parlamentarischen Essen ausplauderte, indem er meinte,
die Konservativen müßten seine Politik unterstützen, die sei jedenfalls kon-
servativ, denn er mache nicht seine eigene, sondern die Politik seines kaiser-
lichen Herrn. Damit ist allerdings der „Kadavergehorsam“ des Herrn
v. Caprivi von ihm selbst in das richtige Licht gestellt, und man wird
künftig, wenn man den Namen des Kanzlers unter einem öffentlichen Akten-
stücke prangen sieht, nicht mehr im Zweifel über dessen eigentlichen Ursprung
sein. Insofern hat die Situation an Klarheit entschieden gewonnen. Es
wird bei den jetzigen Regierungsinhabern immer mehr Mode, sich den Rücken
mit der Krone zu decken, und doch verlangen sie, daß man den Träger der-
selben nicht in die Diskussion ziehen und nicht kritisieren solle. Ich halte
diesen Grundsatz für durchaus verkehrt, und er wird wohl nicht lange auf-
recht zu erhalten sein. Der Monarch ist nach dem Ausspruche eines großen
Königs „der erste Diener im Staate“ und als solcher der öffentlichen Kritik
unterworfen, um so mehr, wenn er sich nicht wie ein Dalai-Lama zurück-