Bie Gesterreichis-Angarische Monarchie. (Mai 3.) 177
Juden, und der Minister des Innern Hieronymi das Gesetz über
die obligatorische Einführung der Civilmatrikeln vorgelegt.
Bei beiden Gesetzen kann es genau genommen als zweifelhaft gelten,
ob man sie als „kirchenpolitische" Maßnahmen im engeren Sinn bezeichnen
darf. Bei der Vorlage über die Judenrezeption handelt es sich nämlich
durchaus nicht um irgend eine Erweiterung der Emanzipation der Juden,
denn diese ist schon seit 1868 nach allen Richtungen hin hergestellt, es han-
delt sich vielmehr darum, an Stelle der bestehenden Erlasse und der in
der Verwaltungspraxis zur Geltung gekommenen Usanzen ein umfassendes
Gesetz zu schaffen, welches durch übersichtliche und logisch korrekte Anord-
nung in die ganze Materie mehr Klarheit und Sicherheit bringt. In
der Vorlage über die Civilmatrikeln aber ist der rein verwaltungstech-
nische Gesichtspunkt so stark wie möglich betont, um, soweit es irgend an-
ging, jeden Gedanken an einen willkürlichen Eingriff in das kirchliche Leben
fernzuhalten.
3. Mai. Der Schriftführer des Polenklubs, Abg. Dr.
v. Lewicki, erstattet seinen Wählern in Przemysl einen Bericht
über die parlamentarische Lage, in welchem er sich bezüglich des
Verhältnisses der Polen zu den anderen Parteien folgendermaßen
äußert:
„Der Polenklub fühlt sich der Tradition gemäß als Delegation des
galizischen Landtages und hat die Aufgabe, die polnischen Interessen in
Wien zu vertreten. Diese Tradition hat der Polenklub im Jahre 1879
durch seinen Eintritt in den Eisernen Ring verletzt. Erst iett haben die
Polen ihre Aktionsfreiheit wieder erlangt. Der Polenklub beabsichtigt nicht,
die Bildung einer Parlamentsmehrheit zu hindern, aber er hat andrerseits
keinen Grund, zur Organisation der Majorität die Initiative zu ergreifen.
Der Polenklub will freie Hände haben, um gegebenenfalls beim Anschluß
an irgend eine Majorität sich die Erweiterung der galizischen Landes-
Autonomie zu sichern. So wie sich die Polen von den Einflüssen der Re-
gierung des Grafen Taaffe freizuhalten gedenken, so werden sie auch den
Einfluß irgend welcher Partei, und selbst der Hohenwart-Partei, nicht dulden.
Dem Hohenwart-Klub bewahren die Polen ein dankbares Andenken im Hin-
blick auf die zwölfjährige Waffengenossenschaft. Beide Klubs werden jedoch
durch Meinungsverschiedenheiten in betreff der konfessionellen Schule und
der Begünstigung des rumänischen Elements zum Nachteile der Polen ge-
trennt. Fürst Schwarzenberg habe als der Erste Galizien den schmerzlichen
Vorwurf: „Passives Land!" entgegengeschleudert; dann debutierte er mit der
reaktionären Sentenz, daß das Parlament noch nicht das letzte Wort über
die Regierungsform habe, wobei er die Perspektive des aufgeklärten Ab-
solutismus eröffnete. Diesem Fürsten imponieren in der äußeren Politik
am meisten die Ideen des Grafen Hübner, des Fürsten Metternich und des
Fürsten Windischgrätz, und er hat in seiner Rede im Katholischen Vereine
in Prag sich als Gesinnungsgenosse Vaschatys manifestiert. Mit dem Jung-
tschechenklub haben die Polen nichts gemein, da die Jungtschechen die na-
tionale Zwietracht säen und für die russisch-österreichische Allianz schwärmen.
Von der Vereinigten Linken werden die Polen durch Stammesverschieden-
heit, durch jahrzehntelange Kämpfe und die dadurch entstandenen Ueber-
lieferungen, sowie durch gegenseitige Vorurteile geschieden. Vereinigen könnte
beide Parteien die Uebereinstimmung in der auswärtigen Politik und die
Sicherstellung einer Autonomie-Erweiterung für Galizien.“
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXIV. 12