196 Jie Gesterreigisch-Ausarische Msnarchie. (Okt. 24.—Nov. 4.)
der Wahlreform nichts zu befürchten habe. Die niedrigsten Schichten der
Bevölkerung, welche der Politik apathisch gegenüberstehen, würden leicht eine
Beute der sozialistischen Emissaire. Noch stärker sei das Wahlrecht der
städtischen Bürgerschaft bedroht. Obwohl die Mehrzahl der städtischen Be-
völkerung liberalen Prinzipen huldige, müsse doch die konservative Partei
für dieselbe eintreten. Eine Schädigung der städtischen Wählerschaft involviere
aber auch eine Schädigung des Staates. Die konservative Partei könne
nicht zugeben, daß das politische Schwergewicht von den besitzenden Klassen
auf die besitzlosen abgewälzt werde. Dadurch würde ein höchst bedenklicher
Zustand herbeigeführt. (Lebhafter Beifall.) Nachdem Lienbacher seinen
Wahlreformantrag begründet hatte, führte Stadnicki (Pole) aus, das all-
gemeine Wahlrecht würde auch auf die militärische Disziplin nachteilig
einwirken, da jeder Rekrut mit Klagen bei seinen Abgeordneten drohen könnte.
In Galizien würden die neuen Wählerklassen Anarchisten erzeugen; sollte
die Regierungsvorlage durchdringen, dann könnte Rußland Einfluß auf die
Massen in Galizien gewinnen.
24. Oktober. (Wien.) Der Bürgermeister Prix legt sein
Amt als Bürgermeister nieder.
25. Oktober. (Wien.) Das Abgeordnetenhaus setzt die erste
Lesung der Wahlreformvorlage fort. Der jungtschechische Abg. Kra-
marz spricht sich für die Regierungsvorlage aus.
27. Oktober. (Budapest.) Eine zur Audienz erschienene
kroatische Deputation der Agramer Diözesangeistlichkeit wird vom
Kaiser nicht empfangen.
Der Sektionschef Papay erklärt der Deputation, welche eine Adresse
mit der Bitte um Besetzung des Agramer Bistums durch einen Kroaten
überreichen wollte, daß der Kaiser der Geistlichkeit nicht gestatte, sich in
solche Dinge zu mischen, und daß er sich nicht durch Demonstrationen be-
einflussen lasse.
28. Oktober. (Wien.) Das Ministerium Taaffe reicht seine
Demission ein.
30. Oktober. Die drei Führer der Deutschliberalen, der Klerikal-
Konservativen und der Polen, die Herren v. Plener, Graf Hohen-
warth und v. Jaworski, werden vom Kaiser empfangen. Alle
drei Parteiführer waren in der Lage, dem Monarchen zu erklären,
daß die Verständigung unter den drei parlamentarischen Gruppen
genügend weit gediehen sei, um ein Koalitions-Ministerium zu bilden.
4. November. (Wien.) Bürgermeister Prix erklärt, daß
er im Falle einer Wiederwahl das Bürgermeisteramt wieder an-
nehmen werdes; die fortschrittlichen Gemeinderatsmitglieder sprechen
sich mit 67 gegen 2 Stimmen für seine Wiederwahl aus.
4. November. Fürst Windischgrätz übernimmt die Neu-
bildung des Kabinetts. Während die Mehrzahl der Blätter aller
Parteischattierungen, auch die polnischen, das durch den Fürsten
Alfred Winschgrätz zu bildende Koalitionsministerium sympathisch