198 VDie Oeslerreihhisch-Angarische Menarhhie. (November 14. —23.)
Oberhauses ist eine Spaltung eingetreten. Unter Führung des
Grafen Aurel Desewffy hat sich eine starke Gruppe abgezweigt, die
sich konservativ, doch nicht klerikal nennt. Die Gruppe proklamiert
den Grundsatz, die Civilehe sei keine kirchliche, sondern juristische Frage.
14. November. (Pest.) Der Kultusminister Graf Csaky tritt
zurück; an seine Stelle tritt Graf Julius Andrassy.
15. November. Vermählung des Erzherzogs Joseph August
mit Prinzessin Auguste von Bayern in München.
15.—16. November. Graf Kalnocky reist nach Monza, wo
er mit dem italienischen Minister Brin und dem Botschafter Nigra
eine längere Audienz beim König von Italien hat.
17. November. (Graz.) Tod des Grafen v. Hartenau, ehe-
maligen Fürsten Alexanders von Bulgarien. Vgl. Bulgarien.
23. November. (Wien.) Das Abgeordnetenhaus, das sich
bei Eintritt der Regierungskrifis vertagt hat, tritt wieder zusammen.
Der neue Ministerpräsident Fürst Windischgrätz gibt folgende Er-
klärung ab:
„Se. Majestät der Kaiser haben mich zu Ihrem Minister-Präsidenten
allergnädigst zu ernennen geruht; ich habe die Ehre, mich als solchen sowie
das neue Ministerium Seiner Majestät dem hohen Hause hiermit vorzu-
stellen. Die neue Regierung wurde eingesetzt infolge der gemeinsamen po-
litischen Aktion der drei großen Parteien des Abgeordnetenhauses; sie wendet
sich daher in nächster Linie an diese Parteien und spricht die Erwartung
aus, daß dieselben ihre Thätigkeit mit Vertrauen begleiten und auch einander
gegenüber gute parlamentarische Beziehungen erhalten werden. Die Regie-
rung erklärt, daß sie es als ihre erste und wichtigste politische Aufgabe be-
trachtet, im Einvernehmen mit diesen Parteien eine umfassende Wahlreform
zu schaffen, welche mit Aufrechterhaltung der derzeit bestehenden verfassungs-
mäßigen Vertretung der Interessengruppen und mit genauer Berücksichtigung
der Verhältnisse der vereinigten Köngreiche und Länder eine wesentliche
Ausdehnung des Wahlrechtes unter Heranziehung der bisher vom Stimm-
recht ausgeschlossenen Volksschichten, insbesondere der Arbeiter, herbeiführen
und zugleich das bisherige Schwergewicht der politischen Rechte des Bürger-
und Bauernstandes sichern soll, und welche voraussichtlich eine Vermehrung
der Mitgliederzahl des Abgeordnetenhauses zur Folge haben wird, sowie
eine Revision der Wahlbezirkseintheilung erfordern dürfte. Bis zum Zu-
standekommen der Wahlreform hält die Regierung es für angemessen, alle
anderen großen politischen Fragen ruhen zu lassen, und will sich in dieser
Zeit, unter gleichzeitiger steter Bedachtnahme auf die Erhaltung der Macht-
stellung und Wehrkraft der Monarchie, mit aller Thatkraft wirtschaftlichen
und finanziellen Aufgaben zuwenden. Die neue Regierung übernimmt das
mit Ungarn vereinbarte Werk zur Herstellung der metallischen Währung
und wird bestrebt sein, dasselbe mit Ernst und Umsicht weiterzuführen.
Ebenso wird die Regierung großen Wert darauf legen, daß im Wege des
parlamentarischen Einvernehmens die Reform der direkten Steuern zum Ab-
schlusse gebracht werde. In Erkenntnis der großen Bedeutung der Sozial-
politik in der heutigen Verwaltung und der Notwendigkeit der Fürsorge