Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 23.) 15
In Ostpreußen zahlen von den 7604 Armenverbänden über 300 pCt.
der Staatssteuern für Armenzwecke 1087 Verbände, und zwar ländliche,
in Westpreußen von 3476 Verbänden 286,
in Pommern von 3175 Verbänden 201,
in Posen von 5390 Verbänden 536,
in Brandenburg (ohne Berlin) von 5009 Verbänden 192.
Während im nordöstlichen Deutschland diese außerordentlich hohe Be-
lastung der Armenverbände besteht, zahlen in der Provinz Sachsen, wohin
unsere Landarbeiter mit Vorliebe ziehen, von 3866 Armenverbänden nur
19 über 309 pCt. ihrer bezüglichen Staatssteuern an Armenkosten. Das
Unterstützungswohnsitzgesetz allein schafft diese Ungleichheit. Die östlichen
Provinzen liefern die Arbeiter für die intensiven Kulturen und für die In-
dustrie des Westens und müssen, selbst in bitterster Not, die nötigen Ar-
beitskräfte zu finden, dann noch für die abgezogenen Leute Jahre lang die
Armenlasten tragen. Es bildet dieses Moment den Grund einer berechtigten
tiefgehenden Unzufriedenheit im Osten der Monarchie.
b) In Euerer Majestät Ostseeprovinzen wird Klage darüber geführt,
daß der Identitätsnachweis den Absatz des Getreide-Ueberschusses nach dem
Auslande behindert und dadurch häufig eine Ueberfüllung der binnen-
ländischen Märkte mit einheimischem Getreide und folgerichtig dessen Ent-
wertung herbeiführt.
c) Die Frachtsätze für die Massenprodukte der Landwirtschaft sind so
hohe, daß wir nur unter den erheblichsten Abzügen vom Preise unsere Pro-
dukte in die Konsumtionsgebiete bringen können. Wir sind hierbei un-
günstiger wie die Industrie gestellt.
d) Die Verhältnisse an den Produktenbörsen, zumal derjenigen von
Berlin, sind ganz unleidliche und schädigen sowohl Produzenten als Konsu-
menten, zu Gunsten einer zügellosen Spekulation. Das Brot des Volkes
wird zum Spielobjekt gemacht. Mit Rücksicht auf die gegenwärtige Enquete
versagen wir es uns, hierauf des weiteren einzugehen. Wir hoffen, daß
dieselbe nicht resultatlos verlaufen, sondern die Herbeiführung gesunder Zu-
stände anbahnen werde.
e) Die unterwertige Valuta des konkurrierenden Auslandes, die fort-
schreitende Entwertung des Silbers gestalten sich zu einer Ausführprämie
für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse fremder, unter günstigeren Bedin-
gungen produzierender Länder. Der uns gewährte Zollschutz wird dadurch
mehr oder weniger wirkungslos.
f) Der Mangel an brauchbaren landwirtschaftlichen Arbeitern steigt
anhaltend, obwohl Verdienst und Lebenshaltung derselben seit Jahren sich
in erheblicher Aufbesserung befinden. Unsere besten Arbeiter drängen nach
den Großstädten und Industriezentren, wo sie nur allzuhäufig der Arbeits-
losigkeit und der Sozialdemokratie verfallen.
Aus dieser allerunterthänigsten und gewissenhaften Darlegung der
wesentlichsten Momente unseres Notstandes wollen Euere Majestät die Gnade
haben, die Ursachen der steigenden Verschuldung des Grundbesitzes Sich zu
erklären. Die amtliche Statistik verzeichnet in Bezug hierauf ein erschreckendes
Bild, in welchem der Grundbesitz des Ostens am meisten hervortritt.
Euere Majestät wollen huldvollst geruhen, in Kürze die dringlichsten
Wünsche der von uns vertretenen Zentralvereine Allergnädigst entgegenzu-
nehmen.
1. Eine weitere Abbröckelung der Schutzzölle ist für unser schwer
bedrängtes Gewerbe verhängnisvoll. Bei Abschluß neuer Handelsverträge
wäre namentlich für den Export auch unserer Produkte, besonders Vieh,
Spiritus und Zucker, mit demselben Nachdruck einzutreten, wie dies für den