16 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 23.)
Export der Industrie thatsächlich seitens der hohen verbündeten Regierungen
geschehen ist.
2. Ein Handelsvertrag mit Rußland, auf Grundlage der Ab-
machungen mit Oesterreich-Ungarn, wäre für die alten preußischen Provinzen
besonders schädigend. Da Rußland ein anderes, in dem Maße bequem und
vorteilhaft gelegenes Absatzgebiet für seine gewaltige Ueberproduktion an
Brotkorn nicht hat, als den Norden Deutschlands, würden wir bei einer
Zollreduktion in erster Linie den Anprall der Konkurrenzwogen auszuhalten
haben. Zumal im Hinblick auf die schwankende und bei jeder europäischen
Krisis tief herabgehende russische Valuta können wir einen ermäßigten Zoll,
wie er Oesterreich-Ungarn zugestanden worden ist, in seinen Wirkungen nicht
ertragen. Rußlands Eisenbahnpolitik und Valutenstand hat ihm bislang
gestattet, der größte Kornlieferer Deutschlands auch bei gegenwärtigem Zoll
von 5 M zu sein. Eine weitere Zollminderung würde der Bewilligung einer
hohen Ausfuhrprämie an Rußland gleichkommen, gezahlt durch Preußens
Landwirte, des Ausfalls von etwa 20 Millionen bisheriger Staatsintraden
nicht zu gedenken. Vollends vernichtend würde der Abschluß eines Vieh-
seuchen-Uebereinkommens mit Rußland uns treffen. Unsere Arbeit und
großen Kapitaleinlagen zur Veredelung unseres Biehstandes wären dann
fruchtlose gewesen, und neben dem direkten Schaden durch eine überwältigende
Konkurrenz von Produkten der russischen extensiven Viehhaltung würde die
stete Verseuchung der Viehbestände nicht von uns abzuwenden sein.
3. Eine Revision des Viehseuchengesetzes ist geboten, um, unbeschadet
der Rechte der Einzelstaaten, durchgreifende Abwehr- und Bekämpfungsmaß-
nahmen einheitlich, von Reichs wegen, zu erlassen. Wir geben uns der
Hoffnung hin, daß der in der Vorbereitung befindliche Gesetzentwurf diesem
Bedürfnis Rechnung tragen wird.
4. Die technischen landwirtschaftlichen Nebengewerbe sind lebensfähig
zu erhalten. Solange das System der Ausfuhrprämien seitens des Aus-
landes diesen Nebengewerben gewährt wird, hat Deutschland ebenfalls hieran
festzuhalten.
5. Die Revision des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz ist im
Sinne ausgleichender Gerechtigkeit endlich zu bewirken.
6. Die Frachten für Massenartikel der Landwirtschaft auf den Staats-
bahnen sind mehr wie bisher nach dem Verhältnis der Selbstkosten zu er-
mäßigen.
7. Der weitere Ausbau des staatlichen Bahnnetzes und der Wasser-
straßen ist zur Hebung der Verkehrsverhältnisse geboten. Die Subventio-
nierung von Kleinbahnen seitens des Staates betrachten wir für die ärmeren
Landesteile als eine Lebensfrage.
8. Die innere Kolonisierung im Osten ist zur Kräftigung des Wehr-
standes, Seßhaftmachung des Arbeiterstandes und damit Beseitigung des
Mangels an ländlichen Arbeitskräften, Erweiterung des Absatzgebietes für
die Industrie und erfolgreichen Abwehr sozialdemokratischer Bestrebungen
auch weiterhin zu fördern.
9. Euere Majestät wollen die Gnade haben, den dringenden Wünschen
der Ostseeprovinzen entsprechend, darüber Untersuchungen anordnen zu wollen,
ob die Aufhebung des Identitätsnachweises bei der Ausfuhr von Getreide
ohne Schädigung anderer Interessen möglich ist.
10. Euere Majestät bitten wir endlich allerunterthänigst, durch Zu-
sammenwirken staatlicher Organe mit denen der wirtschaftlichen Berufsstände
über die Wirkungen sowohl der Valutendifferenz der Nachbarstaaten als
auch der Entwertung des Silbers amtliche Erhebungen anzuordnen, um da-
durch eine unparteiische Klarlegung der Einwirkung dieser Momente auf