Italien. (November 23.) 257
katessen begangen. Ueber die Kabinette heißt es, daß sie sämtlich seit 1880
der Banca Romana gegenüber die größte Indifferenz an den Tag legten.
Erst 1889 habe eine Inspektion stattgefunden, deren sehr kompromittierende
Resultate auch der Regierung unterbreitet wurden. Allein der damalige
Handelsminister Micelli habe sich durch andere von Tanlongo inspirierte
rosige Berichte täuschen lassen, und der damalige Ministerpräsident Crispi
habe keinen dem Landeskredit schädlichen Skandal heraufbeschwören wollen,
ehe er sein Projekt einer Einheitsbank durchgeführt. Der damalige Finanz-
minister Giolitti endlich erklärte dem Enquetekomitee, er könne sich der Sache
nicht mehr erinnern. Miceli war sogar so vertrauensselig, daß er nicht
einmal merkte, daß die Banca Romana an demselben Tage, da man ihr
Kassenmanko entdeckte, sich von der Nationalbank 10 Millionen borgte, um
das Manko zu verdecken. Weiter konstatierte die Relation, daß die Presse
von Tanlongo fortlaufend hohe Beträge erhielt, im Jahre 1888 allein eine
halbe Million. Allgemeinen Unwillen im Hause rief die Stelle der Relation
hervor, wo konstatiert wird, daß die Polizei ohne Beisein von Richtern ein
Packet der bei Tanlongo konfiszierten Dokumente öffnete und gewisse Doku-
mente verschwinden ließ. Alsdann wurden Namen von Deputierten ver-
öffentlicht, welche Indelikatessen begangen: del Vecchio (intimer Anhänger
Giolittis), der Herzog Sandonato (Neapel), der gegenwärtige Unterstaats-
sekretär Sangiuliano, der gegenwärtige Handelsminister Lacava, der frühere
Handelsminister Miceli, der frühere Handelsminister Chimirri, endlich
Nicotera. Die beiden Letztgenannten, weil sie dem früheren Deputierten
Fazzari bei der Rombank eine Anleihe von dreieinhalb Millionen vermittelt,
obgleich derselbe bereits drei Millionen Schulden hatte. Dem Journalisten
Turco (dem Direktor des offiziösen Parlamento) wurden 130,000 Franks
Subvention aus der Rombank nachgewiesen. Was Grimaldi betrifft, so
nimmt das Engquetekomitee an, die Rombank habe ihn nicht subventioniert,
sondern nur für juristische Dienste honoriert.
Die „Münchener Allg. Ztg.“ berichtet darüber:
Eine Sitzung wie die gestrige der Kammer ist in der Geschichte des
Parlamentarismus — des italienischen wenigstens — noch nicht zu ver-
zeichnen gewesen. Denn ohne Präcedens ist der Vorgang, daß das Ergebnis
der Beratungen eines Vertrauensausschusses, durch welches nicht nur Abge-
ordnete und Minister, sondern auch Männer, deren Namen wie ein Symbol
des italienischen Staates erscheinen, zum Gegenstand ausdrücklicher Miß-
billigung gemacht werden, zur öffentlichen Verlesung gebracht wird. Es
war als ob alle Anwesenden auf der Anklagebank säßen und aus dem
Munde der „Sieben“" ihren Urteilsspruch erwarteten. Dem entsprach die
lautlose Stille bei der dreistündigen Verlesung, der am Schluß dann ein
wildes Toben folgt. Und das Ergebnis der Bankenquete ist die Verur-
teilung einer ganzen Periode italienischen Staatslebens, von der Uebernahme
der Regierung durch die Linke (1876) bis zur Gegenwart. Daran wird
nichts dadurch geändert, daß viele Anklagen zurückgewiesen wurden, daß
die Ausdrucksweise des Ausschusses sehr milde war und sich auf Bedauern
(deplorare) und Mißbilligen (disapprovare) beschränkte. — Eine eigentliche
„Simonie“, d. h. ein Stimmenkauf, ist, nachdem der Ausschuß den Fall
des plötzlich verstorbenen Deputierten De Zerbi ausgeschieden hatte, aller-
dings nicht nachgewiesen worden. Das charakteristische Krankheitssymptom,
das die Sieben festgestellt haben, besteht aber in der untrennbar engen Ver-
webung des ganzen polititschen Treibens mit privaten Finanzgeschäften und
in der daraus folgenden thatsächlichen Abhängigkeit der politischen Per-
sonen von den Bankinstituten. Dies ist das Wesentliche: nicht die einzelnen
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXIV. 17