284 Rußland. (März Mitte—21.)
den Artikel 38 der Verfassung von Tirnovo abzuändern und auch
der Religion des Landes Eintrag zu thun, könne die kaiserliche Re-
gierung, wenn sie auch an dem Prinzip der Nichtintervention in
die inneren Angelegenheiten des Fürstentums festhalte, nicht stummer
Zeuge diesem Versuche gegenüber bleiben, welcher einer energischen
Opposition unter der bulgarischen Bevölkerung begegne. Die Mit-
teilung schließt, wie folgt:
„Die kaiserliche Regierung spricht ihren aufrichtigen Wunsch aus,
daß die Stimmen, welche sich unter der Geistlichkeit und den gut gesinnten
Bürgern vernehmen lassen, allen Bulgaren ohne Unterschied der Partei als
Mahnung dienen und die Gefahr beseitigen werden, welche dem ganzen Volke
droht, das im Begriffe steht, seine heiligsten hundertjährigen Traditionen
zu verleugnen. Die kaiserliche Regierung ist überzeugt, daß die beabsichtigte
Aenderung in dem geistigen und politischen Leben des Fürstentums keine
günstigen Resultate erzielen und nur traurige Folgen für die Zukunft haben
wird, indem sie Zwistigkeiten im Innern und tiefgehende Mißhelligkeiten in
moralischer Beziehung herbeiführen wird.
Diese Erklärung wird von der russischen Regierung mit einer
Note den auswärtigen Mächten mitgeteilt.
Mitte März. Alle Signaturmächte nehmen Rußlands Zir-
kular betreffend die bulgarische Verfassungsänderung ohne Bemer-
kung zur Vorkenntnis.
Mitte März. (Anathem gegen russische Papiere.) In-
folge der fortgesetzten Verfolgung ihrer Glaubensgenossen in Ruß-
land hat das Londoner russisch-jüdische Komitee, dem das Parla-
mentsmitglied Sir Julian Goldsmid als Vorsitzender und Mr. S.
Montagu, ebenfalls Mitglied des Parlaments, als Schatzmeister vor-
steht, an alle Bankiers, Bankdirektoren, Bankprokuristen, Börsen-
makler und Geldwechsler jüdischen Glaubens in allen wichtigen
Städten Europas die energische Aufforderung gesandt, sich zusammen-
zuthun, um russische Anleihen, russische Regierungswerte, überhaupt
den russischen Handel zu boykottieren. Zu gleicher Zeit wird ein
„Die Finanzen Rußlands“ betiteltes Pamphlet, in dem die schlechte
russische Finanzlage und der ökonomische Zustand des Landes be-
handelt werden, unter alle Finanziers Europas ohne Rücksicht auf
den Glauben verteilt. Durch diese Mittel und Bemühungen will.
man die Finanzwelt veranlassen, Rußland kein Geld mehr zu leihen.
21. März. (Moskau.) Vor Beginn der Wahl des Stadt-
hauptes im Saale des Stadtverordnetenkollegiums übergibt der
Kleinbürger Andrejanow dem Stadthaupt Alexejew eine Bittschrift
und feuert hierauf zwei Revolverschüsse ab, die Alexejew so stark
verwunden, daß er nach 2 Tagen stirbt. Andrejanow war ad-