Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunter Jahrgang. 1893. (34)

298. Lerbien. (Juni Anf.—22.) 
antwortlich ist sowohl für die Art ihrer Entstehung, wie für die Konse- 
quenzen des ganzen Vorfalls, entspricht ganz den dunklen Wegen, welche 
Radikale und Fortschrittler stets gewandelt sind. Der erste Schritt der neuen 
Regierung, die Auflösung der Skupschtina, ist verfassungswidrig. Unwahr 
ist es, daß die Skupschtina sich nicht konstituieren konnte... Auf ein 
neues Terrain gedrängt, wird die liberale Partei weder abdizieren, noch ihre 
Rechte preisgeben, sondern die ihr in der schrecklichen und stürmischen Nacht 
vom 13. April aufgezwungene Rolle mit derselben Ruhe und Entschlossen- 
heit auf sich nehmen, mit welcher die liberalen Führer alle Schwierigkeiten 
der jüngsten Tragödie über sich ergehen ließen. Wir kehren in den Kreis 
unsrer Wähler, um eine Erfahrung reicher und um ein durch eine lange 
Reihe von Jahren genährtes Vorurteil ärmer, zurück. Alle Errungenschaften 
des serbischen Staates in den letzten dreißig Jahren sind ein Werk unfrer 
Partei, die stolz darauf ist. Wir werden unsern Weg fortsetzen, überzeugt, 
daß zuletzt Wahrheit und Ehrlichkeit siegen.“ 
Anfang Juni. Bei den Skuptschinawahlen bringen die Fort- 
schrittler es auf 10 Mandate, alle übrigen Mandate von den 133 
sind den Radikalen zugefallen, mit Ausnahme eines einzigen, welches 
ein liberaler Verfechter der gewerblichen Interessen in der wein- 
reichen Stadt Negotin errang. 
16. Juni. (Belgrad.) Die Skuptschina wird eröffnet. 
Die hierbei verlesene Thronrede hebt hervor, daß der König am 
1. April eine gebieterische Pflicht erfüllt habe, da es die Aufgabe der Obre- 
novitschs sei, die Verfassung sowie die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger 
Serbiens gegen jeden Eingriff zu schützen. Der König habe es nicht dulden 
können, daß die während seiner Minderjährigkeit in seinem Namen handelnde 
Regierung die Grundlagen des konstitutionellen Lebens untergrabe. Nach 
der Eröffnung der verfassungswidrigen Skupschtina am 31. März durch die 
unvollständige Regentschaft habe es keine Verfassung mehr gegeben. Er, der 
König habe sich beeilt, am nächsten Tage diesem Regime ein rasches Ende 
zu bereiten. Das Volk habe diesen Akt mit enthusiastischer Zustimmung be- 
grüßt. Er könne mit Befriedigung verzeichnen, daß auch das Ausland den- 
selben richtig beurteilte. Die Thronrede gedenkt ferner der freundschaftlichen 
und schmeichelhaften Aufnahme der Notifikationen des Regierungsantrittes 
seitens der fremden Souveräne und Staatsoberhäupter sowie der hierbei zu 
Tage getretenen kostbaren Sympathiebeweise für König und Land. Der 
König werde stets darauf bedacht sein, daß Serbien sich dieser hohen Sym- 
pathie würdig erweise. Das Element der Ordnung und des Fortschritts in 
Osteuropa werde sich die bereits erworbenen Freundschaften erhalten und 
neue erwerben. Die letzten Wahlen zur Skupschtina seien ohne jede Beein- 
flussung vor sich gegangen, und deshalb sei die gegenwärtige Kammer der 
treue Ausdruck des Volkswillens. Die Skupschtina sei zu der außerordent- 
lichen Session einberufen behufs der Eidesleistung und der Abstimmung über 
das Budget, beides konstitutionelle Akte, welche keinerlei Aufschub duldeten. 
Ferner sei die Skupschtina einberufen wegen der Handelsverträge mit Oester- 
reich-Ungarn und Deutschland, welche der besonderen Aufmerksamkeit der 
Skupschtina empfohlen werden, weil sie von großer wirtschaftlicher und 
finanzieller Wichtigkeit seien. — Hierauf leistete der König den Verfassungs- 
eid. Dem Könige wurden sowohl beim Erscheinen in der Skupschtina als 
auch beim Verlassen derselben stürmische Ovationen dargebracht. 
22. Juni. (Belgrad.) Die Skuptschina nimmt mit allen
	        
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