Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 8.) 21
Marine zugelegt werden soll, meist den kürzeren ziehen; aber ich habe auf
der anderen Seite keinen Augenblick verkannt, und verkenne auch heute nicht,
was die Kriegführung zur See Deutschland im entscheidenden Augenblicke
wert sein kann. Ich habe in den verschiedenen Denkschriften, die ich und
mein Amtsvorgänger, der General v. Stosch, Ihnen vorgelegt haben, immer
festgehalten und, soviel ich weiß, ist das heute noch der Standpunkt der
Marineverwaltung, daß wir unsere Marine auf die Defensive, auf die Ver—
teidigung organisieren müssen. Defensive und Offensive sind Worte, die, wie
die Erfahrung bei der Militärvorlage gezeigt hat, vielfach mißverstanden
und im falschen Sinne gedeutet werden, weil sie, je nach dem Standpunkt,
von dem aus sie gebraucht werden: politisch, strategisch oder taktisch, einen
sehr verschiedenen Sinn haben können. Ein Schiff kann sich nicht taktisch
defensiv schlagen, sondern nur offensiv; aber eine Flotte kann sich strategisch
defensiv schlagen, indem sie nicht den Feind in seinen Gewässern aufsucht,
sondern indem sie in den heimischen Gewässern bleibt und das heimatliche
Land zu schützen sucht. Das ist, glaube ich, die Aufgabe uuserer Flotte.
Wenn wir aber im Schiffersatzbau, im Ersatz für Schiffe, deren Hin-
fälligkeit und Abgängigkeit mit absoluter Sicherheit in wenigen Jahren
vorher zu sehen ist, zu sparsam werden, so wird es mir zweifelhaft, ob die
Marine dieser Aufgabe, unsere Küste zu schützen, noch gewachsen sein wird.
Man hat ja davon gesprochen, daß die Küste zu Lande geschützt werden
könne. Man muß sich erst darüber einigen: Was heißt das, die Küste
schützen? Zweifellos kann man sie vom Lande aus schützen: man kann
hindern, daß die Feinde landen, oder, wenn sie gelandet sind, kann man
sie schlagen und ins Wasser werfen, vorausgesetzt, daß man über eine hin-
reichende Zahl von Landtruppen verfügt. Es gibt Lagen, wo man dem
Feinde gern eine Prämie gäbe, wenn er bei uns landete; denn eine solche
Landung ist ein sehr prekäres Unternehmen und setzt einen so verzweifelten
Entschluß voraus, daß ich nicht glaube, daß sich jemand leicht zu einer
Landung im großen Stile entschließen wird. Er kann unsere Küste benagen,
er kann Städte brandschatzen, bombardieren; aber größere Truppenkörper
landen und damit einen entscheidenden Einfluß auf den Ausgang des Krieges
üben, wird sehr schwer halten und würde Deutschland gegenüber nur dann
möglich sein, wenn wir am Lande so erheblich geschlagen wären, daß der
Feind einen Ueberschuß an Kräften hat, oder wenn er von Haus aus so
viel stärker in seiner Organisation wäre, daß ihm am ersten Mobilmachungs-
tage ein Ueberschuß zu Gebote steht, den er dann, wie es anfänglich 1870
in Frankreich geplant war, an eine unserer Küsten werfen kann. Also wir
können unsere Küste zu Lande schützen, und wir würden von diesem Stand-
punkte aus, wenn unser Landheer stark genug ist, nichts von der Marine
zu erwarten brauchen. Aber das ist nicht alles, was man im gewöhnlichen
Leben unter „Schutz der Küste" versteht. Man versteht darunter auch den
Schutz unserer Handelsstädte und unseres Handels, und das ist keine gleich-
gültige Frage. (Sehr wahr! rechts.) Um diesen Handel schützen zu können,
müssen wir eine feindliche Blockade von uns fernhalten.
Es liegt dem hohen Hause wieder ein Antrag vor, der darauf ab-
zielt, durch internationale Vereinbarungen das Privateigentum auf See zu
schützen. Ich stehe diesem Antrage noch heute genau so gegenüber, wie im
vorigen Jahre. Ich glaube nicht, daß er ausführbar ist, weil ich der Ueber-
zeugung bin, daß derjenige, dem im Kriege die Verletzung feindlichen Eigen-
tums vorteilhaft ist, wenn er stark genug ist, sich keinen Augenblick genieren
wird, dazu zu schreiten. Wie können wir nun aber unsere Küste vor
Blockade schützen? Wie können wir es machen, daß unser Handel, wenigstens
bis zu einem gewissen Grade, während des Krieges weitergeht? Das ist